Werkvertiefung einzelner Ausstellungsstücke

Hier finden Sie eine nähere Vorstellung ausgewählter Werke der Sonderausstellung „Picasso Warhol Baselitz“ im kärnten.museum Klagenfurt.

Karel Appel (1921–2006): Dog and Fish, 1951

Stolz und selbstbewusst scheint der Hund, wie er so ohne Ohren, auf vier unterschiedlichen Beinen und ebenso unterschiedlichen Füßen, Pfoten oder Hufen daherkommt. Darüber ein Fisch, offensichtlich ein Rückenschwimmer (an den Flossen zu erkennen), der sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Hund und Fisch bilden eine Einheit, betont durch das knappe Bildformat sowie durch wiederkehrende Farben und Bildelemente, am auffälligsten bei den rotbraunen Umrisslinien. Bewusst wählt Karel Appel kindliche Darstellungsformen – genauer Formeln –, einhergehend mit einer starken Vereinfachung: Ein Hund hat vier Beine, ein Maul und Augen. Ohren müssen nicht sein. Ebenso beim Fisch: Sein Körper ist stromlinienförmig und er hat Flossen. Wo genau sie sitzen, spielt keine Rolle; er bleibt immer als Fisch erkennbar.

Georg Baselitz (geb. 1938): Tama, 2001

Gegen Ende der 1960er-Jahre beginnt Georg Baselitz seine Motive auf den Kopf zu stellen. So macht er es auch mit dem schwarz-weiß gescheckten Hund Tama – dieser ist inspiriert von Édouard Manets Gemälde Tama, ein japanischer Hund von 1875. Fasziniert von der Kunst und dem Kunsthandwerk Japans, das auf der Pariser Weltausstellung 1867 zu sehen war, reisten zwei Freunde Manets in das Land und brachten den Hund als „lebendes Souvenir“ mit. In seinem unverkennbaren künstlerischen Stil schafft Baselitz eine klare Bezugnahme zum Werk Manets, verfremdet es und hinterfragt zugleich unsere Wahrnehmungsgewohnheiten. Manets wie Baselitz‘ Darstellungen des Hundes spiegeln die emotionale Bindung zwischen Mensch und Haustier wider, wobei das Tier als treuer Begleiter des Menschen betrachtet und trotzdem als eigenständiges Wesen gezeigt wird.

Philippe Bradshaw (1965–2005): $ und Love, 2003

Philippe Bradshaw wählt ein ungewöhnliches, alltägliches Material: Seit den späten 1990er-Jahren produziert der Brite Bildvorhänge aus Aluminiumketten. In verschiedenen Farben und Längen arrangiert er sie dicht an dicht, um Strukturen und Bildelemente sichtbar zu machen. So zusammengefügt, erinnern die Arbeiten an Perlenvorhänge, wie man sie als Sichtschutz vor Hinterzimmern in Bars und Sexshops kennt. Motivisch spielt Bradshaw oft mit weltweit verständlichen Symbolen, die sich auf die Themen Konsum, Popkultur und Kunstgeschichte beziehen: Das Dollarzeichen verweist auf die menschliche Gier nach Geld und Macht, das Wort „LOVE“ mit Herz hingegen auf die Sehnsucht nach Liebe. Dazu sind die Ketteninstallationen in der Pop Art-Bewegung verankert. Bewusst zitiert und verfremdet Bradshaw ikonische Werke von Andy Warhol, um den traditionellen Kunstbegriff infrage zu stellen.

Georges Braque (1882–1963): L’oiseau jaune, 1959

Georges Braque gilt zusammen mit Pablo Picasso als Begründer des Kubismus. Die Kunstrichtung zeichnet sich durch die Zerlegung von Formen und Gegenständen in geometrische Elemente und deren gleichzeitige Darstellung aus unterschiedlichen Blickwinkeln aus. So zeigt es sich auch in dem 1959 entstandenen Werk L’oiseau jaune. Dargestellt ist ein weißer Vogel vor einem gelben Hintergrund. Der Kopf des Tieres ist von der Seite dargestellt, während man von oben auf die ausgebreiteten Flügel blickt. Immer wieder malt Braque Vögel in verschiedenen Ausführungen. L’oiseau jaune erinnert an die Friedenstaube, die Pablo Picasso für den Weltfriedenskongress 1949 gestaltet hat und die auch in der Ausstellung zu sehen ist. Die Taube entwickelte sich in der Folge zum internationalen Symbol für Frieden.

Marc Chagall (1887–1985): Couple au vase de fleurs, 1955

Marc Chagall porträtiert sich oft selbst. Ob er das auch in Couple au vase de fleurs getan hat, lässt sich nur vermuten. Zwei Verliebte halten sich in den Armen. Der Körper des Mannes ist der eines Esels; beide fliegen aus dem Fenster. Esel haben für Chagall eine symbolische Bedeutung, sie erinnern ihn an seine Heimat in Belarus, seine jüdische Religiosität und werden auch als Verkörperung seiner selbst interpretiert.

Während seines Exils in den USA stirbt Chagalls erste Frau Bella, was ihn in eine tiefe Depression stürzt. Er fühlt sich zwischen den Kontinenten zerrissen, betrachtet Frankreich als „vollendetes Bild“ und Amerika als „unbemalte Leinwand“. 1948 kehrt er nach Frankreich zurück, verliebt sich in Walentina Brodsky und schöpft daraus neue künstlerische Inspiration. Sein Erfolg wächst, und er wird international immer präsenter.

George Condo (geb. 1957): Standing Alone, 2000

Standing Alone zeigt eine Frauenfigur mit schulterlangen schwarzen Locken, übergroßen Ohren, comichaften Augen und eingesunkenen Wangen. Ihr Gesicht wirkt, als wäre es durch einen Zerrspiegel betrachtet worden. Auf einem Bild hinter ihr ist sie exakt noch einmal dargestellt. George Condos Darstellungen sind expressiv und grotesk zugleich. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen in seinen meist weiblichen Darstellungen. Augen, Nasen und Münder sind bewusst deformiert. Die Verzerrungen sind nicht zufällig, sondern drücken die Emotionen und die Psyche der dargestellten Personen aus. Condo kehrt das Innere seiner Figuren nach außen. Das lässt sie auf den ersten Blick befremdlich, auf den zweiten jedoch berührend authentisch erscheinen. Seine Gemälde sind Seelenspiegel, in denen man wie in einem Buch lesen kann.

Jean Dufy (1888–1964): Bois de Boulogne, ca. 1950

Einst königliches Jagdrevier westlich von Paris, wird der Bois de Boulogne ab 1783 in ein öffentliches Erholungs- und Vergnügungsgebiet umgewandelt. Bald nach 1850 errichtet man den Hippodrome de Longchamp, eine Pferderennbahn, die vor allem bei der mondänen Pariser Gesellschaft für Begeisterung sorgt. Der französische Maler und Grafiker Jean Dufy widmet viele seiner Gemälde dem städtischen Leben und der bürgerlichen Freizeitkultur. Diese Ansicht entsteht um 1950, als die Menschen – nach langen Kriegsjahren – endlich wieder aufatmen und ihre Freiheit genießen können. So strahlt das Bild eine große Leichtigkeit aus, es lädt zum Verweilen und Beobachten aus der Ferne ein. Die Komposition besticht durch ihre leuchtenden Farben, bewusst gesetzte Akzente und durch Dufys raffiniertes Spiel mit Licht und Schatten.

Raoul Dufy (1877–1953): Amphitrite à la coquille, um 1927

Wie sein zehn Jahre jüngerer Bruder Jean macht auch Raoul Dufy Freizeitvergnügungen zu seinem Thema. Das Meer, der Strand, Spaziergänger, ein Dampfer und Boote sind in Amphitrite à la coquille zu erkennen. Im Zentrum hockt eine Gestalt, die, wie um dem Meer zu lauschen, sich eine Muschel oder vielmehr das Gehäuse einer Schnecke ans Ohr hält. Es handelt sich um Amphitrite, eine Nymphe der antiken Mythologie und Personifikation des Meeres. Vieles deutet Dufy nur an, was daran liegt, dass es sich bei dem Blatt um eine Skizze für den persönlichen Gebrauch handelt. Bewusst setzt Dufy Elemente aus Kinderzeichnungen ein, etwa indem er Wellen durch kleine Dreiecke oder geschwungene Linien darstellt. Dies findet sich auch in dem großen 1936 entstandenen Gemälde, zu dem die gezeigte Skizze eine Vorstudie bildete.

Barry Flanagan (1941–2009): Left- and Right-Handed Nijinsky on Anvil Point, 1999

Seit Anfang der 1980er-Jahre gelten Hasenfiguren mit überlangen Pfoten und spitzen Ohren als Markenzeichen des walisischen Künstlers Barry Flanagan. Sie sind monumental und immer mit etwas beschäftigt. Ihre Tätigkeiten spielen als Ideenträger auf Verhaltensweisen des Menschen an. So zitiert ein grübelnder Hase mit einem Felsen im Rücken Auguste Rodins berühmte Plastik Der Denker. Ein anderes Mal schlüpft ein Hasen-Duo in die Rolle von Vaclav Nijinskij, dem „Gott des Tanzes“ bei den Balletts Russes. Scheinbar schwerelos balanciert es auf der Spitze – dem Horn – eines überdimensionalen Ambosses, der seinerseits auf den handwerklichen Ursprung des Bronzegusses verweist. Hinzu kommt die kulturgeschichtliche Bedeutung des Hasen. Von alters her gilt er als Symbol für Leben und Fruchtbarkeit, Dynamik, Schlauheit und Kraft.

Sylvie Fleury (geb. 1941): White Gold, 2010

Ich kaufe, also bin ich: Im Jahr 1990 geht Sylvie Fleury auf eine Shoppingtour durch Luxusgeschäfte in Lausanne und besucht die Galerie Rivolta. Ihre Einkaufstaschen stellt sie achtlos auf den Boden; die Shopping Bags und damit eine ebenso subtile wie subversive Konsumkritik war geboren. Ebenso achtlos abgestellt scheint White Gold, der mit Blatt-Palladium überzogene Bronzeabguss einer Birkin Bag des Pariser Luxuslabels Hermès. Die Tasche, ein – in seiner ursprünglichen Funktion – Gegenstand des täglichen Gebrauchs, erfährt eine geradezu auratische Aufladung. In der Tasche befindet sich ein Tafelbild. Kunst, so gibt Fleury zu verstehen, ist Ware, kann zum Statussymbol und Fetischobjekt wie die Luxustasche werden. Kritik am Warenfetischismus und Luxuskonsum zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Fleury.

Lucio Fontana (1899–1968): Concetto Spaziale, Attese, 1960

Lucio Fontanas wichtigstes Werkzeug ist das Messer: Mit ihm setzt der Italiener fünf Schnitte und reißt damit die gefärbte Leinwand auf. Entlang der Schlitze wölbt sich die Leinwand vor. Licht und Schatten modellieren die vorher zweidimensionale Fläche und verwandeln sie in ein dreidimensionales Relief. Auch hinter dem Bild eröffnen die Schnitte neuen Raum, der bei herkömmlichen Gemälden unsichtbar bleibt. Fontanas Vorgehensweise zielt auf ein neues Raumkonzept ab. Mit seinen Schlitzen will der Künstler nicht zerstören, sondern erweitern. Er will das Material, aus dem Kunst besteht, sinnlich erlebbar machen und die Grenzen des Tafelbildes durchbrechen. „Meine Entdeckung ist das Loch, Punktum; und nach dieser Entdeckung kann ich auch beruhigt sterben“, bringt Fontana seine Errungenschaft selbst auf den Punkt.

Lena Henke (geb. 1982): Niche, 2020

Kaum ein Modeaccessoire ist so eng an das Klischee der „typischen“ Frau gebunden, wie der High Heel. Indem er die Körperhaltung streckt, bringt er weibliche Kurven besonders zur Geltung. Zugleich wohnt Stöckeln eine fetischistische Aussage inne, da sie zu kleinen Schritten zwingen und Beweglichkeit hemmen. Ohne High Heels in ihrer Arbeit wirklich zu zeigen, verweist Lena Henke durch die Krümmung der Füße dennoch auf sie. Mit dem Einsatz von Leder bezieht sich die Künstlerin auf das Material, aus dem Schuhe bestehen, sowie auf erotische Praktiken, die als „Lack-und-Leder-Fetisch“ geläufig sind. An das „Upskirting“, das voyeuristische „Unter-den-Rock-Schauen“, erinnert wiederum der Blick auf die Beine. Die Pferdehufe sind bei Henke schließlich ein zentrales Motiv, das auf erotische Bezüge, Macht und Verwandlung deutet.

Gudrun Kampl (geb. 1964): Vorwärtsschnitt, 2021

Vorwärtsschnitt, zwei purpurrote Schuhe mit markanten, überlangen Samtschnüren anstelle von Schuhbändern. Die Schuhe stehen nicht nebeneinander, sondern sind leicht versetzt übereinander an der Wand angebracht, wodurch ein Schritt angedeutet ist. Die Spitzen laufen in Messerklingen aus, womit die Schuhe zur Waffe werden. Aus dem Vorwärtsschritt wird ein militanter Vorwärtsschnitt. Die Materialkombination aus Leder und Samt ist ebenso optisch reizvoll wie sinnlich. Der purpurrote Samt steht für weibliche Sanftheit und männliche Macht. Er ist Stoff der Könige und Kardinäle, aber auch des Theaters und der Bordelle. Der Schuh wird bei Kampl zum autonomen Objekt. Ihre Schuhdarstellungen lassen Prozesse und Strategien der Verwandlung und Entgrenzung erkennen. Sie verweist durch Materialien und Formensprache in ihren Arbeiten auf Begierde und Fetisch.

Alex Katz (geb. 1927): Wading, 2002

Bei Alex Katz ist alles geordnet. In Wading stellt der Amerikaner zwei junge Frauen im modischen Sommerdress watend ins Wasser. Der Reiz liegt in ihrer sportlichen Erscheinung, der makellosen Haut und den akkurat gestylten Frisuren. Auch kennt jede der lichtvollen Farben klar ihre Grenzen. Vor tiefblauem Grund scharf konturiert, wirken die Figuren wie eingefroren. Ebenso starr sind die Gesichter, deren glatte Oberfläche innere Regungen völlig verbirgt. Mit seinem plakativen Stil prägt Katz seit gut 70 Jahren die Kunstwelt. Beeinflusst von Film und Werbung, Medien und Mode feiert der Maler die gehobene amerikanische Freizeitgesellschaft. Eine gewisse Strenge gepaart mit Coolness und technischer Perfektion, sowie das Momenthafte und Alltägliche zeichnen die Werke des Vorreiters der Pop Art aus.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938): Zwei nackte Frauen im Wald, 1909

Das Motiv des Aktes in freier Natur interessierte Ernst Ludwig Kirchner, wie auch andere Künstler, im Kontext der um 1900 aufkommenden Freikörperkultur. Die beiden Frauen halten sich an den Händen. Den Akt links zeigt Kirchner im vollen Sonnenlicht, den rechts im Schatten. Kontrastreiche, satte Grüntöne, aus denen zwei sonnenbeschienene Baumstämme hervorleuchten, bilden den Hintergrund.

Kirchner verwendet nach dem Vorbild der Fauves („Wilden“) in Paris einen kräftigen Pinselduktus. Wie die Fauves nimmt er für die Schatten Grün und Blau, konturiert dadurch mit diesen Farben die Körper. Zwei nackte Frauen im Wald entstanden noch in Kirchners Dresdner Jahren. Er verbrachte viel Zeit auf den Ostseeinseln, wo er das Freiheitsgefühl des Nacktseins hautnah erleben und in seinen Gemälden umsetzen konnte – Einklang von Mensch und Natur.

Stanislaw Kubicki (1889–1942): Hirschkuh mit Jungem IV, um 1931

Alles in seinem Bild – die Tiere, die Landschaft und den Hintergrund – führt Stanislaw Kubicki im Sinne des Kubismus auf eckige und spitzwinklige Flächen zurück. Scharf gegen den Hintergrund abgegrenzt ist die Hirschkuh, deren Körper die größte, dazu weitgehend unstrukturierte Form im Bildganzen bildet. Drei winklig gebrochene Geraden reichen Kubicki, um den Hinterlauf, den Rücken und den Hals der Kuh darzustellen. Sie beugt sich zu ihrem Kalb herab, blickt es aus halbrunden Augen an und nimmt dessen Geruch auf. Es ist ein Bild des Friedens und Einklangs mit der Natur, das Kubicki mit Hirschkuh mit Jungem IV schafft. Ganz anders verlief sein Leben. Kubicki emigrierte 1934 aus politischen Gründen nach Polen, trat nach dem Überfall Deutschlands auf Polen dem Widerstand bei, wird von der Gestapo verhaftet und 1942 in Warschau ermordet.

Claude Lalanne (1924–2019): Grand Lapin de Victoire, 2001/2013

Er scheint wie aus einem Märchen, der Grand Lapin de Victoire: Aufrecht stehend, die Vorderpfoten um einen Stab gelegt, die Ohren gespitzt, den Kopf zur Seite gewendet, lauscht und beobachtet er die Umgebung nach Hasenart, jeden Moment bereit, hakenschlagend die Flucht zu ergreifen. Seiner Aufmerksamkeit entgeht nichts, ebenso wie seiner Schöpferin, der Bildhauerin Claude Lalanne. Ritzungen und Scharten deuten das dichte feine Fell des Hasen an. Die Blattrippen der Halskrause sind ebenso angegeben wie die Unregelmäßigkeiten des Pflanzenschaftes, den der Hase hält. Dabei verliert sich Claude Lalanne – ebenso wenig wie ihr Mann François-Xavier Lalanne – nicht im Detail, sondern behält stets die Großform im Blick. Les Lalannes, wie sie genannt wurden, hatten eine illustre Käuferschaft, darunter Yves Saint Laurent und Georges Pompidou.

François-Xavier Lalanne (1927–2008): La grande ourse, 1994

Tapsig steht La grande ourse („Die große Bärin“) da. Die Ohren sind gespitzt, sie scheint zu schnüffeln, ist sie neugierig? Schaut sie auf ihre Umgebung oder staunend nach oben in den Himmel, wo sich ihr Sternbild, Die Große Bärin (im deutschsprachigen Raum Der Große Wagen) befindet? Die Skulptur ist im besten Sinne deutungsoffen. Man kann in ihr einfach eine gutmütige Bärin erkennen, ebenso eine Anspielung auf die Nymphe Kallisto, die dem antiken Mythos nach vom Göttervater Zeus verführt und vergewaltigt wurde. Aus Wut, nicht auf ihren Gatten, sondern auf Kallisto, verwandelt Hera die Nymphe in eine Bärin, als die Zeus Kallisto mit dem gemeinsamen Sohn Arkas (Der Kleine Bär oder Wagen) in den nördlichen Sternenhimmel versetzt. Von La grande ourse wurden acht Exemplare gegossen. Das der Heidi Horten Collection ist das fünfte aus der Serie.

Ulrike Müller (geb. 1971): Rug (las criaturas), 2021

„Wir werden die Welt schon in Ordnung bringen! Wir sind ja keine Menschen!“ In seinem Buch Die Konferenz der Tiere formuliert Erich Kästner 1949 einen leiden-schaftlichen Appell für Frieden, Toleranz und die Rechte von Kindern. Bis heute hochaktuell, übernimmt Ulrike Müller den Buchtitel für ihr 2020 in New York gezeigtes Projekt The Conference of Animals.

Dessen tragendes Element sind Kinderzeichnungen, und an eine Kinderzeichnung erinnert auch Rug (las criaturas) – Teppich (die Geschöpfe). An der Grenze zwischen Gegenstand und Abstraktion angesiedelt, zeigt der Wandteppich auf ihre Grundformen zurückgeführte Tiere. Dunkle Töne wie Petrol und Rubinrot treffen auf ihre helleren Varianten – Hellblau, Rosa und Koralle. Dem Spiel mit Form und Farben sind Müllers Arbeiten generell eng verbunden

Emil Nolde (1867–1956): Blumengarten, 1908

Eine überbordende Fülle an Blüten und Farben, ein schmaler Weg und zwei Frauen. „Es gibt Feuerrot, Blutrot und Rosenrot. Es gibt Silberblau, Himmelblau und Gewitterblau. Jede Farbe birgt in sich ihre Seele“, schreibt Emil Nolde in sein Tagebuch. Wiederholt verbringen Nolde und seine Frau Ada die Sommer auf der Ostseeinsel Alsen, wo Nolde in den Gärten der kleinen Fischerhäuser seine Motive findet. Die Bilder, die dort entstehen, gleichen einem Farbenrausch. Pinselstrich ist an Pinselstrich gesetzt. Einzelne Blüten und Blumen – hier Astern – sind im Vordergrund zu erkennen. Zum Hintergrund werden die Blüten dann zu gegenstandslosen Farbflecken. Erst bei den Frauen „beruhigt“ sich Noldes Pinsel wieder. Gelassen und einander zugewandt stehen sie in ein Gespräch vertieft da. Sie halten sich die Hände vor dem Bauch und tragen zum Schutz ihrer Kleider Schürzen

Mimmo Paladino (geb. 1948): Architettura (Cavallo), 2005

Das Pferd ist eindeutig zu erkennen. Dennoch betitelt Mimmo Paladino seine Skulptur mit Architettura – Architektur. Erlaubt Paladino sich einen Scherz, oder geht es ihm um mehr als die Darstellung eines Tieres? Letzteres dürfte der Fall sein. Versteht man unter Architektur das „Gebaute“, so gelingt die Annäherung. Architektur beruht grundsätzlich auf dem Prinzip von Stütze und Last. Pfeiler nehmen die Last der Decken und Mauern auf. Als „Stützen“, auf denen der Rumpf aufliegt, können die Beine des Pferdes bezeichnet werden. Rätselhafte Elemente wie die Kugel zwischen den Hinterläufen und die amorphe Form an der Seite des Pferdes sind typisch für die Künstler*innen der italienischen Transavanguardia („jenseits der Avantgarde“), zu denen auch Paladino zählt. Von Paladino stammt auch der Entwurf zum eisernen Vorhang des Klagenfurter Stadttheaters.

Max Pechstein (1881–1955): Herbst, Bäume, Dünen, 1912

Herbst in Nida. Regelmäßig verbrachte Max Pechstein von 1908 bis 1914 die Sommer- und Herbstwochen in dem kleinen Badeort an der Ostsee im heutigen Litauen. So auch 1912 als dieses Bild entstand. Erdig-sandige Farbtöne bestimmen den Eindruck. Das Laub der Bäume ist bereits herbstlich verfärbt. Eine sandige Fläche beherrscht den Vorder- und Mittelgrund, möglicherweise ein Ausläufer der Parnidis- oder Hohen Düne, deren Wanderung dazu führte, dass der Ort Nida in seiner Geschichte dreimal verlegt werden musste. Pechstein gehörte wie Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff der Dresdner Künstlergruppe Brücke an. In Nida, abseits der Großstadt Berlin, fanden sie die Ruhe, um wie in den gemeinsamen Dresdner Jahren in der Natur zu malen. In Berlin hingegen, wo Pechstein seit 1908, Kirchner und Schmidt-Rottluff seit 1911 lebten, gingen sie getrennte Wege.

Pablo Picasso (1881–1973): Buste d’homme, 1969

Im Juni 1969 ist Picasso 87 Jahre alt. Längst gilt er als berühmtester Künstler der Welt, seiner Zeit stets weit voraus. Doch wurzelt Picassos Schaffen bei aller Innovation tief in Spaniens Kunst und Kultur. Um 1897 sieht Pablo, das Wunderkind, sie zum ersten Mal: die alten Meister Diego Velázquez und El Greco. Deren Einfluss offenbart noch dieses späte Bild. Es zeigt einen Edelmann des 17. Jahrhunderts mit Zwirbelbart, Brustpanzer, rostrotem Wams und einer Halskrause aus fünf braunen Kreisen. Die aufgerissenen Augen mögen dazu die Idee der „Mirada fuerte“ in sich tragen. Denn wie alle Südspanier ist auch Picasso davon überzeugt, dass ein Mann eine Frau allein mit seinem „starken Blick“ gewinnen kann. Vier Jahre nach der Vollendung von Buste d‘homme stirbt Picasso im französischen Mougins. Er hinterlässt vier Kinder und ein gewaltiges Werk – sein Mythos lebt bis heute ungebrochen fort.

Not Vital (geb. 1948): Fuck You, 1992

Aus den Geweihenden sprießen die Buchstaben „FUCKYOU“, womit der Hirsch – renitent über den Tod hinaus – zu verstehen gibt, was er von seinem Gegenüber hält: absolut nichts. Gelinde gesagt, er soll sich einfach davonmachen. Das Werk ist absurd, lädt zum Schmunzeln wie zum Nachdenken ein. Not Vital ist entscheidend durch das Bergdorf Sent im Engadin geprägt, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Immer wieder tauchen Bezüge zu seiner Heimat auf, wo die Jagd und die Zurschaustellung von Trophäen eine jahrhundertealte Tradition haben. Dieser Tradition verweigert sich Vital in Fuck You. Anders als seine Vorfahren wurde er nicht zum Jäger, verließ vielmehr früh seine Heimat und pendelte zwischen urbanen und völlig abgelegenen Orten, wo er Einflüsse unterschiedlichster Kulturen aufnahm, die er in seinem Werk verarbeitete.

Andy Warhol (1928–1987): Female Head with Stamps, ca. 1960

Ende der 1950er-Jahre – er zählt zu den bestbezahlten Grafikdesignern in Manhattan/New York – beginnt Andy Warhol nach eigenständigen künstlerischen Ausdrucksformen zu suchen. Die in der Werbegrafik üblichen Drucktechniken verwendet er weiter, kombiniert sie aber mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen. So geschehen in Female Head with Stamps: Rosatöne bestimmen den ersten Eindruck. Die Blüten und Blätter sind gedruckt, ein gemalter kräftiger blauer Lidstrich akzentuiert das Auge, die Lippen sind pinkfarben geschminkt.

In Female Head with Stamps ist bereits vieles angelegt, was Warhol in den folgenden Jahren und Jahrzehnten künstlerisch beschäftigen wird. In dem nur mit wenigen individuellen Merkmalen ausgestatteten Kopf kann Werbung für Haarspray, Lidschatten oder Lippenstift erkannt werden – ebenso die Ikone der Zeit, Marilyn Monroe.

Andy Warhol (1928–1987): Mickey Mouse, 1981

In den frühen 1960er-Jahren beginnt Andy Warhol, alltägliche Objekte, berühmte Persönlichkeiten wie Marylin Monroe oder fiktive Figuren darzustellen. Sie sind für ihn Synonyme des westlichen, US-amerikanischen Lebensstils. Ähnlich wie Konsumgüter in Massen produziert werden, nutzt Warhol die Technik des Siebdrucks, um seine Kunstwerke vielfach zu reproduzieren. Mickey Mouse, eine der ersten und bis heute bekanntesten Comic-Figuren, steht als Symbol für den Einfluss der Massenmedien. Im Rahmen der 1981 entstandenen Myth Series, in der Warhol mythische und fiktive Charaktere darstellt, wird die Maus sowohl als Hommage als auch als Kritik an der Konsumkultur interpretiert. Die Freude und kindliche Nostalgie, die sie hervorruft, stehen im Kontrast zu ihrer massenhaften Vermarktung und Kommerzialisierung.

Erwin Wurm (geb. 1954): Kastenmann, 2010

Was kann alles Skulptur sein? Sind das nur Figuren auf einem Sockel oder können auch Handlungen, Gedanken, Alltagsgegenstände und sogar Menschen zu Kunstwerken werden?

Mit seinen eigenwilligen Objekten hat Erwin Wurm die Gattung Skulptur maßgeblich erweitert. Der Künstler ist ein Meister des skurrilen Humors. Er stellt Erwartungshaltungen infrage und versetzt sein Publikum ins Grübeln und Staunen. Der zweibeinige Hemdsträger zieht bereits von Weitem die Blicke auf sich. Das, was man sonst im Kleiderkasten verwahrt, trägt der Kasten hier selbst. „Vor mir ist nichts sicher“, sagt Erwin Wurm über seine Arbeit. „Ich finde es spannend, was passiert, wenn man Alltagsgegenständen den Nutzwert entzieht, bekannte Formen neu interpretiert“.


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