Von Kärnten aus

Nationalsozialismus und Krieg/Kriegsführung

„Großdeutschland steht im Kampf um seine Freiheit und seinen Bestand. Sein Schöpfer und Führer Adolf Hitler führt seine Heere von Sieg zu Sieg. Männer unserer Heimat kämpfen und wachen im Osten, im Westen und im hohen Norden, wo sie sich in Narvik unvergänglichen Ruhme erwarben.“ (Gotbert Moro, Carinthia I, 1940)

Ziel der NSDAP war eine neue Weltordnung. Während der Weltwirtschaftskrise begeisterte Adolf Hitler seine Anhänger*innen in Deutschland und Österreich damit, ein starkes, autarkes Großdeutsches Reich zu bilden. Seit 1933 an der Macht, verfolgte Hitler eine aggressive Außenpolitik. Er stellte die Deutschen als Opfer dar, die sich wehren müssten – gegen die Weltmächte Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion, die allesamt von Juden gelenkt seien. Im Bündnis mit den Diktaturen in Japan und Italien setzte Hitler ab 1939 auf Krieg: Dem Überfall auf Polen folgten Angriffe auf Frankreich, Belgien, die Niederlande, Dänemark, Norwegen, Großbritannien, Jugoslawien, Griechenland und die Sowjetunion, schließlich auch auf Italien. Vor allem in Osteuropa führten die deutschen Streitkräfte einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung. Gegen die „Achse“ formierten sich die Alliierten. Die älteste Demokratie Großbritannien bot den überfallenen Regierungen Exil und half dem Widerstand in Europa. Die USA und die Sowjetunion traten 1941 in das Bündnis ein. Am 8. Mai 1945 musste Deutschland kapitulieren. Europa war befreit – und verwüstet. Der Krieg wurde auch von Kärnten aus geführt. Hier wurden Wehrmachts- und SS-Truppen für den Angriffskrieg aufgestellt. Wie erinnern sich Soldaten? War das Kämpfen und Sterben sinnlos, heroisch, gerechtfertigt, falsch? Wofür lohnt es sich zu kämpfen?

Zahlen & Fakten • 12./13.3.1938 Machtübernahme NSDAP, „Anschluss“ an das Deutsche Reich • Eingliederung des österreichischen Bundesheers in die deutsche Wehrmacht • Bildung des Gebirgsjäger-Regiments 139 in Klagenfurt • Aufbau des III. Bataillons der SS-Standarte „Der Führer“ in Klagenfurt • 1938–1940 Bau der SS-Kaserne „Der Führer“ in Lendorf bei Klagenfurt • 1.9.1939 Angriff Deutschlands auf Polen, Beginn 2. Weltkrieg in Europa • Einsatz des Gebirgsjäger-Regiments 139 bei Überfällen auf Polen, Norwegen und die Sowjetunion • Einsatz der SS-Standarte „Der Führer“ (später: 4. SS-Panzergrenadierregiment „Der Führer“) u. a. in Polen, Sowjetunion, Frankreich • 8.5.1945 Kapitulation und Niederlage der deutschen Wehrmacht • 1955 Souveränität und Neutralität Österreichs, Wiederaufstellung Bundesheer • Erinnerungsorte Narvik, Oradour, Klagenfurt-Lendorf, Ulrichsberg

Narvik

Ruhm und Ehre Krieg begeisterte.

Das NS-Regime verpflichtete alle Männer ab 18 Jahren zu einem zweijährigen Wehrdienst. Fast alle Offiziere und Mannschaften des österreichischen Bundesheeres schworen Adolf Hitler unbedingten Gehorsam. In Kärnten entstand das Gebirgsjäger-Regiment 139 als Teil der Wehrmacht. Unter dem Kommando von Alois Windisch überfielen die Gebirgsjäger 1940 das neutrale Norwegen. Für Furore sorgte der Kampf um die Hafenstadt Narvik, die zunächst von britischen und norwegischen Truppen erfolgreich verteidigt worden war. Adolf Hitler zeichnete Alois Windisch und Anton Holzinger für einen riskanten Einsatz mit dem „Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz“ aus. Die NS-Propaganda stilisierte die Gebirgsjäger zu Helden. Sie hätten in Narvik ein „unvergängliches militärisches Husarenstück“ erbracht. Die Kärntner Nationalsozialisten stellten „Narvik“ in die Tradition des „Kärntner Freiheitskampfes“ von 1919. Sie schufen einen Mythos. Er verdeckte das Unrecht des Angriffskriegs und wirkte Jahrzehnte nach.

Eismeer

Narvik verleitete die Generäle zu extremer Risikobereitschaft. Im Juni 1941 wurde das Gebirgsjäger-Regiment 139 an die Grenze zur Sowjetunion am Eismeer verlegt. Es sollte die rohstoffreiche Stadt Murmansk einnehmen. Doch die Versuche, die Rote Armee zurückzudrängen, schlugen fehl. Es entstand ein dreijähriger Stellungskrieg mit horrenden eigenen Verlusten. Bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad hausten die Soldaten in notdürftigen Unterständen, viele litten an Erfrierungen. Die psychischen Belastungen waren enorm. Kameradschaft bot Halt. Die arktische Landschaft wurde mit Kärntner Namen belegt. Der 10. Oktober jährlich in der Tundra gefeiert. Doch als Ersatz für die große Zahl an kranken, verwundeten und gefallenen Soldaten kamen immer schlechter ausgebildete junge Rekruten nach. Vom Glanz der „Helden von Narvik“ blieb nicht viel übrig. Beim Rückzug wandten die deutschen Truppen die Taktik der „verbrannten Erde“ an. Sie vertrieben die Einheimischen und brannten Städte und Dörfer nieder. Kirkenes und Rovaniemi wurden verwüstet. Es handelte sich um die größte Katastrophe in der Geschichte Lapplands. Stadtkommandant von Kirkenes war der Kärntner Hans Steinacher. Hier schrieb er 1943 sein Werk „Sieg in deutscher Nacht. Ein Buch vom Kärntner Freiheitskampf“.

Oradour

Mit Kriegsbeginn ließ der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler aus der SS und der Polizei militärische Einheiten bilden, die „Waffen-SS“. Bekämpften SS und Polizei bisher die inneren „Feinde“, wurde die Waffen-SS nun an die Fronten und in die eroberten Gebiete geschickt, um die Rassenideologie in die Tat umzusetzen und jeden antideutschen Widerstand zu brechen. Sie kämpften an der Front und führten im Hinterland Massenerschießungen durch. Betroffen waren in Osteuropa vor allem Jüdinnen und Juden. In Südost- und Westeuropa verübte die Waffen-SS Massaker an Zivilist:innen als Vergeltung für einheimischen Widerstand. In Klagenfurt ließ Himmler u. a. das III. Bataillon der SS-Standarte „Der Führer“ aufstellen. Im Stadtteil Lendorf wurde die SS-Kaserne „Der Führer“ gebaut – eine Auszeichnung für die Kärntner NS-Führer. Im Frühjahr 1944 bekämpfte das SS-Regiment „Der Führer“ die französische Widerstandsbewegung. Am 10. Juni 1944 verübte es in Argenton-sur-Creuse und Oradour-sur-Glane aus Vergeltung für die Gefangennahme des Kommandanten des III. Bataillons, Helmut Kämpfe, Massaker an Zivilist:innen. In Oradour erschossen die Soldaten alle Männer, sperrten dann Frauen und Kinder in die Kirche und zündeten diese an. Der ganz Orte brannte ab, 642 Menschen wurden ermordet.


Biografien

Anton Holzinger (1901–1989)

1918 Freiwillige Meldung zur k.u.k.-Armee im 1. Weltkrieg

1921–1938 Berufssoldat im österr. Bundesheer

14.3.1938 Übernahme in die Wehrmacht, Führereid auf Adolf Hitler

1939 Hauptmann im Gebirgsjäger-Regiment 138

1940 Major im Gebirgsjäger-Regiment 139

1941 Auszeichnung mit Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz für Einsatz in Narvik

1942 Oberstleutnant, Kommandant des Gebirgsjägerregiments 756 (Tunesien)

1943 Kommandant des SS-Gebirgsjägerregiments 27, SS-Gebirgsdivision „Handschar“ (Partisanenkampf, Bosnien) 1945 Oberst, Kommandant des Gebirgsjägerregiments 136

1945–1955 Angestellter Land Steiermark, Bundesministerium f. Volksernährung

1956 Aufnahme in das Bundesheer Kommandant der 7. Gebirgsbrigade, Klagenfurt 1

959 Mitbegründer des Ulrichsbergtreffens und erster Redner 1960 Initiator des „Narvik-Treffens“ in Klagenfurt

1962–1966 Militärkommandant von Kärnten 1967 Benennung der Jägerkaserne nach Alois Windisch, ehem. Kommandant des Gebirgsjäger-Regiments 139

1967–1979 Präsident des Österreichischen Kameradschaftsbundes, Landesverband Kärnten

Zitat: Das Regiment, […] dessen Helden die Männer von Narvik waren, war das Kärntner Hausregiment, das wieder unvergänglichen Lorbeer um sein Feldzeichen gewunden hatte.“ Anton Holzinger, 1960

David Holzer (1923–2015)

1923–1942 Kindheit und Jugend auf elterlichem Bauernhof in Schlaiten, Osttirol

1942 Einberufung zum Gebirgsjäger-Ersatzregiment 139 in Klagenfurt

1942–1943 Soldat des Gebirgsjäger-Regiments 139 in Norwegen/Finnland

1943 Heimaturlaub und Desertion mit Bruder Alois und Freund Franz Stolzlechner

1944 Festnahme, Haft in Klagenfurt (Jesuitenkaserne), Todesurteil wegen Fahnenflucht, begnadigt zu 15 Jahren Zuchthaus Haft und Zwangsarbeit im Lager Börgermoor Hinrichtung von Franz Stolzlechner in Wien

1945 Frontbewährung, Bruder Alois gefallen Befreiung durch Rote Armee in der Tschechoslowakei

1946 Rückkehr und Übernahme des elterlichen Bauernhofes

2004 Tritt für die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure ein

2006 Anerkennung als Opfer des NS-Regimes, Aufnahme in die Opferfürsorge


Otto Weidinger (1914–1990)
1936 Aufnahme in den SS-Führerkorps

1938–1943 Einsätze mit Truppen der Waffen-SS in Österreich, Polen, Westeuropa, Sowjetunion

1944–1945 Kommandant 4. SS-Panzergrenadier-Regiment „Der Führer“

1958 Bundessprecher der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS (HIAG)

1959 Teilnahme mit HIAG am ersten Ulrichsbergtreffen 1962–1985 Zahlreiche Buchpublikationen für die HIAG u. a. „Kameraden bis zum Ende. Der Weg des SS-Panzergrenadier-Regiments 4“

1962–1985 Zahlreiche Buchpublikationen für die HIAG u. a. „Kameraden bis zum Ende. Der Weg des SS-Panzergrenadier-Regiments 4“

Zitat: „Wir kamen zum ersten großen deutsch-österreichischen Soldatentreffen nach dem Krieg, weil der Ulrichsberg in der Heimat unseres Regiments und in unmittelbarer Nähe einer unserer alten Garnisonen, Klagenfurt, liegt […] aus allen Gauen Österreichs und West-Deutschlands.“ (Otto Weidinger, 1962)

Stefanie Hassler (1892–1971)

1920 Bretterarbeiterin in Dellach im Drautal, Heirat mit dem Holzschlagarbeiter Ludwig Hassler

1920–1932 kleine Landwirtschaft, sechs Kinder

1942 Einberufung ihres Sohnes Stefan zur deutschen Luftwaffe

1944 Desertion Stefans, Zuflucht zu den Osoppo- Partisanen in Friaul, Bildung einer Widerstandsgruppe im Oberen Drautal Beherbergung und Verpflegung der Widerstandsgruppe

Nov. 1944 Festnahme und Einweisung der Familie in Konzentrationslager, Beschlagnahmung des Besitzes; Erschießung von Stefan in Dellach

1945 Tod von Ehemann Ludwig und Sohn Johann im KZ Dachau; Rückkehr auf den Hof, schwere gesundheitliche Schäden

1946–1953 Ablehnung der Aufnahme in die Fürsorge für NS-Opfer durch Amt der Kärntner Landesregierung und Sozialministerium („Räuberbande“)

2009 Aufnahme der noch lebenden Angehörigen in die Opferfürsorge

Kontinuität 1955 – Bundesheer, Heimat, Helden

Im Kalten Krieg ab 1947 löste sich das alliierte Bündnis in gegnerische Staatenblöcke auf. Die westlichen Besatzungsmächte ließen Kameradschaftsverbände zu. Deren Ziel war die Würdigung der Wehrmacht. 1955 wurde Österreich souverän. Der erste Verteidigungsminister Ferdinand Graf (ÖVP) forderte offiziell die „Rückkehr zum Heldengedenken“. In Kärnten wurden die Soldaten wie schon vom NS-Regime in die Tradition des „Freiheitskampfes“ von 1919 gestellt. Das Bild des Krieges wurde gedreht: 1945 noch Zwangssoldaten eines sinnlosen Eroberungskrieges, nun ehrwürdige Helden der „Heimat“. Ab 1959 wurde der Ulrichsberg zum zentralen Erinnerungsort für Veteranen der Wehrmacht und der Waffen-SS. (500)

Zitat: „Die Wehrmacht war ein Instrument des Deutschen Reiches unter der nationalsozialistischen Regierung Adolf Hitlers. Aus der Proklamation [der Unabhängigkeit Österreichs] ergibt sich, daß die Pflege der Tradition der ehemaligen deutschen Wehrmacht rechtswidrig und staatsgefährlich ist.“ Verfassungsgerichtshof, 1962 „Vermächtnis der Heimgekehrten! Siehe Vaterland, das haben wir dir zurückgebracht: unsere angeschissenen Unterhosen, unsere wimmelnden juckenden Läuse, unsere heldenhaft bammelnden Stummelbeine, unsere lustig zuckenden Stummelarme, unser erloschenes Augenlicht, unsere infolge Schreckensstarre über Nacht ergrauten Haare, unsere zu frühen Kahlköpfe, geweiht durch irrsinnige Hektabomben, durch sauhatzmäßig geschlachtete Opfer des wahnsinnigen Gefreiten Hinkel, den der Kapitalismus Vorsehung und Schicksal hat spielen lassen. - Siehe Vaterland, es wird dir viel bedeuten müssen: solltest du wieder einmal auf einen marktschreienden, geifernden Sprücheklopfer hereinfallen und blutrünstige Generäle walten lassen, kannst du in Hinkunft uns Heimgekehrte sowie all unsere Söhne am Arsch lecken, heute und für alle Zukunft.“ Janko Messner, 1990

Wie Krieg erinnern?

Protest gegen die revisionistischen Soldatentreffen am Ulrichsberg kam nur von einigen ehemaligen Widerstandskämpfer:innen. Politik, Bundesheer und Kirche teilten das Geschichtsbild der Veteranenverbände, obwohl es im Widerspruch zur Verfassung stand. Erst in den 1990er Jahren wurden die Proteste lauter, auch weil immer mehr Neonazis auf den Ulrichsberg kamen. Der kriegsversehrte Schriftsteller Janko Messner intervenierte wortmächtig. Landeshauptmann Jörg Haider mobilisierte die Kriegsgeneration ein letztes Mal als Wähler:innen. 1996 rückte die Ausstellung „Vernichtungskrieg“ auch in Klagenfurt die „Verbrechen der Wehrmacht“ mit bislang kaum gezeigten Fotos ins Zentrum. Seither riss die Kritik nicht mehr ab. Das Mauthausen Komitee Kärnten/Koroška erforschte das Außenlager des KZ-Mauthausen in der ehemaligen SS-Kaserne in Lendorf. 2008 fand das letzte große Ulrichsbergtreffen statt.

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