In Kärnten vergessen

Kriegsgefangenenlager Spittal und Wolfsberg

Kriegsgefangenenlager Spittal und Wolfsberg

Sowjetische Kriegsgefangene Am 22. Juni 1941 überfiel Deutschland die Sowjetunion. Die Wehrmacht führte einen Vernichtungskrieg. Das Kriegs- und Völkerrecht zum Schutz von Zivilist:innen und feindlichen Soldaten wurde ausgesetzt. Mit dem „Kommissarbefehl“ legte die Wehrmacht die Ermordung von allen „politischen Offizieren“ der Roten Armee fest. Frühzeitig wurde auch die Ermordung der jüdischen Kriegsgefangenen beschlossen. Während die Soldaten der westlichen Armeen gemäß dem Völkerrecht behandelt wurden, traf dies auf die sowjetischen Soldaten nicht zu. Die Wehrmacht richtete in der Sowjetunion kein Lagersystem für die Kriegsgefangenen ein. Es ging um die systematische Dezimierung der als minderwertig betrachteten Bevölkerung. Bereits bei der Gefangennahme wurden Rotarmisten erschossen. Viele starben an Hunger und Seuchen in Sammellagern und auf Transporten nach Polen und Deutschland. Etwa 1,4 Millionen kamen 1941/42 in Lager im ehemaligen Österreich. Zwei davon lagen in Kärnten: in Wolfsberg und in Spittal. Hier starben etwa 6.000 Rotarmisten. Sie sind die größte Gruppe von Opfern des Nationalsozialismus in Kärnten. Ihre Geschichte wurde verdrängt. Erst in den vergangenen Jahren tauchten im Internet und aus Hinterlassenschaften von Wachsoldaten Fotos auf, die das Grauen dokumentieren.

Zahlen & Fakten

• Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion (1941–1945)

• 3,3 Millionen (57 %) der sowjetischen Kriegsgefangenen starben

• Etwa 60.000 kamen in Lagern in Österreich um

• STALAG XVIII A Wolfsberg und STALAG XVIII B und STALAG XVIII A/Z in Spittal/Drau

• Arbeitskommandos im ganzen Land • Ca. 6.000 starben in Wolfsberg und Spittal

• Größte Opfergruppe des Nationalsozialismus in Kärnten

Biografie 1: Unbekannte sowjetische Kriegsgefangene

• Namen: Derzeit 1.246 durch Memorial Kärnten-Koroška namentlich identifiziert und in Opferdatenbank erfasst, weitere Forschungen laufen

• Alter: Jünger als 20 (2 %), 20–30 (43 %), 30–40 (38 %), älter als 40 (17 %)

• Herkunft: Russland (56 %), Ukraine (29 %), Usbekistan (4 %), Weißrussland (3 %), andere Gebiete (8 %)

• Ca. 6.000 Tote im Lagersystem des Wehrkreiskommandos XVIII

• 8. Mai 1945 Befreiung der Überlenden

Biografie 2: Walter Tollinger (1901–1944)

• Staatsgewerbeschule in Klagenfurt, Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Fotograf und Maler

• 1919 Teilnahme an den Grenzkämpfen in Südkärnten, Auszeichnung mit dem Kärntner Kreuz für Tapferkeit

• 1923–1925 Soldat des Bundesheeres

• 1928 Gründung des Fotostudios Foto Tollinger mit Ehefrau Berta

• 1934 Beitritt zur NSDAP • 1938 Aufnahme in die NSDAP abgelehnt

• 1944 Verurteilung zum Tode wegen Wehrkraftzersetzung (1.11.), Hinrichtung am Landesgericht Graz (8.12.)

Biografie 3: George Brown (1920–1979), Ian Brown

1938 Eintritt in die britische Armee

• 1939 Stationierung in Palästina

• 1941 Sergeant, Argyll and Sutherland Highlanders

• April 1941 Gefangennahme durch Wehrmacht in Kalamata, Griechenland

• 1941–1945 STALAG XVIII D Marburg, STALAG XVIIIA Wolfsberg, Arbeitskommando 99/L in Bernstein (Burgenland), 59/GW in Trofaiach (Steiermark)

• 8. Mai 1945 Befreiung

• Beruf: Staatsbediensteter

Ian Brown (*1947)

• Beruf Lehrer

• 2001 Aufbau der Webpage www.stalag18a.org, seither Sammlung von Fotos und Geschichten ehemaliger Kriegsgefangener, Vernetzung von Angehörigen

• 2003 Erster Besuch in Wolfsberg

• 2013 Eröffnung der Ausstellung „Lagerstadt Wolfsberg“, Museum im Lavanthaus

• 2022 Eröffnung des Infopoints STALAG 18a in Wolfsberg

Frühes Gedenken

Auf Beschluss des Stadtrats Spittal fand am 4.11.1945 das erste Gedenken bei einem der Massengräber in Aich statt. Die Tageszeitung Volkswille veröffentlichte einen Bericht, der die „Blinden“, die nichts vom Verbrechen gegen die Rotarmisten gesehen haben wollen, kritisierte. Die sowjetische Armee errichtete Obelisken als Grabdenkmäler. Am 8.5.1946 erinnerte der Stadtrat bei einer Festsitzung an das Massensterben der Rotarmisten und benannte den Kaiser Josef-Platz in Spittal in Platz des 8. Mai um. Wenig später wurde der Platz jedoch nach Arthur Lemisch benannt und die Erinnerung an die Befreiung vom NS-Regime mit jener an die Volksabstimmung von 1920 überschrieben. Wahrscheinlich bis 1954 gab es Gedenkfeiern mit der britischen und sowjetischen Armee, danach nicht mehr.

Archive: Öffnung und Digitalisierung

Die Erforschung der sowjetischen Kriegsgefangenen setzte erst spät ein. Die Namen von 60.000 in Österreich begrabenen sowjetischen Soldaten, KZ-Opfern und Zwangsarbeiter:innen wurden 2010 vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz veröffentlicht. Für Kärnten kam der Impuls von Ian Brown. Er publizierte die Fotos sowjetischer Kriegsgefangener aus Nachlässen britischer Soldaten im Internet. Anfang der 2000er Jahre öffnete Russland die Archive. Darin fanden sich die Personalkarten, die die Wehrmacht angelegt hatte. Sie wurden digitalisiert und sind seit kurzem auf Online-Datenbanken zugänglich. Nun kann an individuelle Opfer wie Mulja Mankowski erinnert werden.

Differenzen im Erinnern

Wie wird heute in Wolfsberg und Spittal an die sowjetischen Kriegsgefangenen erinnert? In Wolfsberg griffen Historiker wie Christian Klösch die Impulse von Ian Brown auf. Im Jahr 2013 eröffnete das Museum im Lavanttal die Ausstellung „Die Lagerstadt Wolfsberg“, im Jahr 2022 den Infopoint „STALAG XVIII A“. In Spittal werden die Grabanlagen zwar vom Schwarzen Kreuz gepflegt, es mangelt aber an Zugänglichkeit und Information. Die größte Opfergruppe des Nationalsozialismus in Kärnten, die sowjetischen Kriegsgefangenen von Spittal, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. 2024 gestaltete das WerkStattMuseum die erste Wanderausstellung.

Leerstelle Lagersystem Spittal

Ebenso verdrängt wurde das System von Zwangsarbeitslagern der Gestapo und der Reichsautobahnen (RAB) um Spittal. Für den Bau des Wolfsbergtunnels zogen die RAB Zwangsarbeiter:innen heran. Sie wurden in Barackenlagern untergebracht. Die Gestapo betrieb zwischen 1941 und 1943 in Kraut bei Seeboden ein Arbeitserziehungslager (AEL), in das Häftlinge aus dem Gestapo-Gefängnis in Begunje (Slowenien), aber auch einheimische, angeblich arbeitsunwillige Männer eingeliefert wurden. Zum AEL Kraut gehörten Lager in Treffling und Krieselsdorf. Im Stadtarchiv Spittal befindet sich eine aus mehreren Tausend Personenkarten bestehende „Alte Lagerkartei“. Sie zeigt, wer zur Arbeit gezwungen wurde: Frauen und Männer aus Polen, der Sowjetunion, Slowenien, Italien, Griechenland. Im RAB-Lager Seebach wurden allein im Jahr 1943 an die 40 Todesfälle registriert.

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