Wer wird ermordet
„Hunderttausende waren schon durch dieses Lager gegangen, eine Grausamkeit, die kein Mensch fassen kann.“ Yehuda Lerner, 1979
Volksgemeinschaft und Massenmord
Kern der Weltanschauung der Nationalsozialist:innen war die Herstellung einer deutschen Volksgemeinschaft. Sie verstanden darunter eine „Bluts- und Schicksalsgemeinschaft“. Zugehörig konnte nur sein, wer „deutschen Blutes“ war. Das Konzept baute auf einem einfachen Dualismus auf: Den „Eigenen“ geben, den „Fremden“ nehmen. Als erste wurden neben Gegner:innen jene verfolgt, die als größte Gefahr im Inneren galten: Jüdinnen und Juden, Angehörige der Sinti und Roma und alle Deutschen, die an psychischen Erkrankungen litten oder deren Lebensführung dem Ideal der Volksgemeinschaft nicht entsprach. Antisemitismus, Rassismus und Erbbiologie gehörten zum Kern der NS-Ideologie. Die Scheidung der Bevölkerung baute auf angeblich wissenschaftlichen Konzepten zur Identifizierung und Einteilung von Menschen auf. Mit dem Krieg dehnte die NS-Führung ihre antisemitische und rassistische Politik auf weite Teile Europas aus. An der Spitze stand Heinrich Himmler, der Chef der deutschen Polizei und Beauftragte für die Festigung des deutschen Volkstums. Ein enger Vertrauter Himmlers und williger Vollstrecker war der Klagenfurter SS-Führer Odilo Globocnik. Nach Kriegsbeginn mündete die völkische Politik der Nationalsozialisten in Massenmord.
Zahlen & Fakten:
• Mord an ca. 300.000 Patient:innen im Rahmen der Aktion T4 im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten, davon 1.500 Kärntner:innen
• 50.000 Deportierte im Rahmen der Aktion Zamość in Polen
• Mord an ca. 1,5 Millionen Jüdinnen und Juden sowie 50.000 Roma allein in den Vernichtungslagern der Aktion Reinhardt
• Deportation und Ermordung von ca. 1.400 Jüdinnen und Juden in Oberitalien
• Raubertrag von 179 Millionen Reichsmark (Aktion Reinhardt, Polen) und 48 Millionen Reichsmark (Aktion R, Oberitalien)
Aktion T4: Massenmord an Patient:innen
Der erste industrielle Massenmord betraf Patient:innen aus psychiatrischen Anstalten.
Nach Beginn der Kriegsführung ordnete Hitler die Beseitigung von Menschen an, die als psychisch krank und als Gefahr für die Gesundheit und Stärke der „deutschen Volksgemeinschaft“ eingestuft wurden. Medizinisches Personal entschied, wer in insgesamt sechs Tötungsanstalten einzuliefern war, um in Gaskammern getötet zu werden. Wichtige Kriterien waren Arbeitsfähigkeit und Heilungsaussichten. Insgesamt wurde im Rahmen der später so genannten „Aktion T4“ im Deutschen Reich bis 1941 70.000 Menschen das Leben genommen, davon 18.000 alleine im Schloss Hartheim in Oberösterreich. Nach Protesten insbesondere aus der katholischen Kirche brach Hitler den Massenmord an Patient:innen in den Gaskammern ab. Die Mordexperten wurden zur „Aktion Reinhardt“ ins besetzte Polen geschickt. Bis Kriegsende ließ die SS in den Vernichtungsstätten noch zehntausende KZ-Häftlinge ermorden. In den psychiatrischen Anstalten ging das Mordprogramm verdeckt weiter: durch systematische Vernachlässigung, Nahrungsentzug, Injektionen und Stromstöße. Die Zahl der Opfer der Medizinverbrechen in und aus Kärnten liegt nach Forschungen von Helge Stromberger bei 1.500 Menschen.
Antisemitismus: Mörderische Ideologie
Die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden bildete die Grundlage für das größte Verbrechen der Menschheit.
Der nationalsozialistische Antisemitismus basierte auf einer rassistischen Ideologie, die Jüdinnen und Juden als „fremd“, „gefährlich“ und verantwortlich für die vermeintliche „Zersetzung“ der Gesellschaft betrachtete. Er verband Verschwörungstheorien über eine angebliche jüdische Weltmacht mit völkischem Nationalismus und sozialdarwinistischen Ideen: In der NS-Weltanschauung galt die „arische Rasse“ als überlegen, während Jüdinnen und Juden als „Feinde“ der „deutschen Volksgemeinschaft“ dämonisiert wurden. Diese Ideologie führte ab 1933 zur systematischen Entrechtung, Enteignung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden. Nach der Besetzung Polens wurden die meisten der etwa 1,8 Millionen Jüdinnen und Juden in Ghettos gesperrt. Tausende starben an Hunger, Krankheiten und Gewalt. Während des Krieges gegen die Sowjetunion ab 1941 eskalierte diese Politik in den Holocaust: Über sechs Millionen Menschen wurden durch Massenerschießungen, in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Die Shoah war der radikale Ausdruck eines eliminatorischen Antisemitismus, der auf der Vorstellung einer „Endlösung“ basierte – der vollständigen Auslöschung jüdischen Lebens in Europa.
Aktion Zamość: Generalplan Ost
Mit dem Krieg gegen Polen und die Sowjetunion verband das NS-Regime den Plan, die eroberten Gebiete zu germanisieren.
Das Album „Siedlung in Lublin 1942/43“ war ein Geschenk von Odilo Globocnik an seine Mitarbeiter. Es enthält die Widmung „Meinen Mitarbeitern zum Andenken an die gemeinsame Arbeit“. Gemeint war damit die Durchführung der „Aktion Zamość“ im Distrikt Lublin im besetzten Polen („Generalgouvernement“), wo der Kärntner SS- und Polizeiführer von November 1939 bis September 1943 herrschte. Es illustriert anhand von Zeichnungen und Fotos, wie Globocnik und sein Stab die Germanisierung des Distrikts Lublin umzusetzen begannen. Den Befehl dazu gab Globocnik am 24.11.1942. Er selbst übernahm die Leitung, als Stellvertreter setzte er seinen Klagenfurter Freund Reinhold von Mohrenschildt ein. Mit dabei war außerdem der Klagenfurter Ernst Lerch. Ziel war die Ansiedlung von Volksdeutschen aus Jugoslawien, dem Baltikum, der UdSSR und Westeuropa. Sie sollten rund um SS- und Polizeistützpunkten einen völkischen „Wall“ gegen die Slawen bilden. Dafür wurden etwa 50.000 Pol:innen und „Fremdvölkische“ von deutschen Polizisten gewaltsam aus ihren Dörfern deportiert, ein Teil zur Zwangsarbeit nach Deutschland, ein Teil in das KZ Auschwitz, ein Teil in ehemalige jüdische Ghettos, deren Bewohner:innen bereits ermordet waren.
Aktion Reinhardt in Polen
Vernichtungslager Als Globocnik die „Aktion Zamość“ begann, galt die Ermordung der jüdischen Bevölkerung bereits als abgeschlossen.
Im Album blieb das schlimmste Verbrechen der „gemeinsamen Arbeit“ gänzlich verdeckt, die Aktion Reinhardt, benannt nach dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich, einem der Organisatoren des Holocaust. Ihn hatten tschechische Widerstandskämpfer im Mai 1942 getötet. Bereits im Oktober 1941 erhielt Globocnik von Himmler den Auftrag, die polnische jüdische Bevölkerung zu ermorden. Pläne dafür hatte Globocnik in der Schublade: die Errichtung von Vernichtungslagern. Er bestimmte Belzec, Sobibor und Treblinka als Standorte. Ihr einziger, unfassbarer Zweck lag darin, alle antransportierten Menschen mit Gas aus Motoren möglichst schnell zu ermorden. Am 15.3.1942 begann die Räumung der Ghettos, wo Jüdinnen und Juden seit 1939 vegetieren mussten. Dabei erschossen SS-Männer bereits Tausende Menschen. Die meisten wurden mit Zügen in die Lager verbracht, entkleidet und unmittelbar danach vergast. Bald lenkte die SS Züge aus ganz Europa nach Polen. Auch Angehörige der Roma und Sinti waren unter den Opfern.
Globocnik agierte mit engen Vertrauten. Etliche SS-Männer holte er aus Österreich, etwa den Salzburger Hermann Höfle, der die Deportationen leitete. Höfles engster Mitarbeiter war der Klagenfurter Helmut Pohl. Globocniks Büroleiter Ernst Lerch kam ebenfalls aus Klagenfurt. Für den Betrieb der Lager erhielt Globocnik von der „Kanzlei des Führers“ in Berlin Mordexperten der Vernichtungsanstalten der Aktion „T4“.
In Sobibor und Treblinka führten jüdische Häftlinge Aufstände durch und ermöglichten Massenfluchten.
Aktion Reinhardt in Oberitalien
Deportation und Beraubung
Nach den Aufständen wurden die Lager abgebaut. Globocnik übernahm eine neue Aufgabe.
Am 8. September 1943 schloss Italien einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Deutschland besetzte Italien. Im Nordosten erhielt der Gauleiter von Kärnten Friedrich Rainer ein neues Herrschaftsgebiet, die Operationszone Adriatisches Küstenland. Er sorgte dafür, dass sein Freund Globocnik den Posten des Höheren SS- und Polizeiführers in Triest bekam. Globocnik sollte die jüdische Bevölkerung verhaften, berauben, in das KZ Auschwitz deportieren und den Widerstand der slowenischen und italienischen Partisan:innen brechen. Engste Mitarbeiter wie Ernst Lerch brachte er aus Lublin mit. Hinzu kamen etwa 100 Täter der Aktion Reinhardt, neue SS-Männer wie Helmut Prasch aus Spittal wurden rekrutiert. Sie alle arbeiteten eng mit der Gestapo unter dem bisherigen Klagenfurter Gestapo-Chef Ernst Weimann, SS- und Wehrmachtstruppen sowie Beamten zusammen, die Rainer aus Kärnten nach Oberitalien entsandte. Die ehemalige Reismühle im Triestiner Stadtteil San Sabba wandelte Globocnik in ein „Polizeihaftlager“ um. Sie diente als Sammel- und Durchgangslager, als Gefängnis für slowenische, italienische und kroatische Partisan:innen und als Magazin für die beschlagnahmten Besitztümer der jüdischen Bevölkerung. Große Teile des Raubguts wurden unter dem Kärntner Chef der Finanzverwaltung Franz Zojer verwertet oder nach Kärnten verbracht.
Theodora Oman
• Tochter des Bahnvorstandes und Ortsgruppenleiters der NSDAP in Oberdrauburg
• Litt an epileptischen Anfällen seit einem Unfall in der Kindheit
• 1938 dritte Einweisung in Psychiatrie Klagenfurt, Entmündigung
• 1941 Transport nach Hartheim mit 110 weiteren Patient:innen
• Ermordung in Hartheim, offizielle Todesursache „Lungenentzündung“
• 2018/19 Erforschung ihrer Biografie durch ihre Nichte Christine Strobl-Oman
• 2019 Gedenkveranstaltung in Greifenburg
Odilo Globocnik
• Geburt in Triest, aufgewachsen in Lanschütz (Slowakei)
• 1918 Umzug nach Klagenfurt, Besuch der höheren Gewerbeschule
• 1919-1920 Aktivist bei Grenzkämpfen in Kärnten
• 1923-1934 Beschäftigung bei Baufirmen in Kärnten • 1931/34 Beitritt zur NSDAP, SS
• 1934-1938 Funktionär und Aktivist der illegalen NSDAP in Kärnten
• 1936 Leiter der illegalen NSDAP in Kärnten • 1938 Organisationsleiter der NSDAP in Österreich
• 1938-1939 Gauleiter von Wien, Entlassung wegen Korruption
• 1939 Ernennung zum SS- und Polizeiführer des Distrikts Lublin
• 1942/43 Leitung der Aktion Reinhardt und der Aktion Zamość
• 1943 Höherer SS- und Polizeiführer der Operationszone Adriatisches Küstenland
• 1945 Selbstmord in Paternion
Ernst Lerch
• 1932/34 Beitritt NSDAP und SS
• 1934-1938 Kellner im elterlichen Café Lerch in Klagenfurt
• 1936 Leiter des illegalen Sicherdienstes (SD) der NSDAP in Kärnten
• 1938 Heirat • 1938-40 Leiter des SD, Abschnitt Klagenfurt • 1940-1942 Abstellung zu Globocnik nach Lublin, Referent für Judenangelegenheiten
• 1942-1943 Leiter des persönlichen Büros Globocniks während der Aktion Reinhardt und der Aktion Zamość
• 1943 SS-Sturmbannführer bei Globocnik in Triest, zuständig für Partisanenbekämpfung
• 1945 Festnahme in Paternion • 1945-1947 Internierung im britischen Entnazifizierungslager Wolfsberg, Flucht
• 1950 Verhaftung in Klagenfurt, Anklage und Verurteilung wegen illegaler NSDAP-Mitgliedschaft vor 1938, keine weitere Haft
• 1932/34 Beitritt NSDAP und SS
• 1934-1938 Kellner im elterlichen Café Lerch in Klagenfurt
• 1936 Leiter des illegalen Sicherdienstes (SD) der NSDAP in Kärnten
• 1938 Heirat • 1938-40 Leiter des SD, Abschnitt Klagenfurt
• 1940-1942 Abstellung zu Globocnik nach Lublin, Referent für Judenangelegenheiten
• 1942-1943 Leiter des persönlichen Büros Globocniks während der Aktion Reinhardt und der Aktion Zamość
• 1943 SS-Sturmbannführer bei Globocnik in Triest, zuständig für Partisanenbekämpfung
• 1945 Festnahme in Paternion • 1945-1947 Internierung im britischen Entnazifizierungslager Wolfsberg, Flucht
• 1950 Verhaftung in Klagenfurt, Anklage und Verurteilung wegen illegaler NSDAP-Mitgliedschaft vor 1938, keine weitere Haft
Helmut Pohl
• 1912-1920 Staatsgymnasium Klagenfurt, Handelskurs HAK Klagenfurt
• Buchhalter in verschiedenen Betrieben in Kärnten
• 1930 Beitritt NSDAP, SS • 1934-1938 illegale Tätigkeit u. a. für Sicherheitsdienst der SS
• 1938 Heirat • 1939-1940 Dienst in der Waffen-SS, Leiter SS-Standort Klagenfurt
• 1941/42 Referat Judenumsiedlung, Dienststelle Globocnik, Aktion Reinhardt, Leitung Volksdeutsche Mittelstelle Lublin
• Juli 1942-1945 UK-Stellung bei Betrieb in Klagenfurt, Leiter SS-Standort
• 1945-1947 Internierung im amerikanischen Entnazifizierungslager Glasenbach
• 1948 Verurteilung zu zwei Jahren Haft wegen illegaler Betätigung für NSDAP, SS vor 1938, Enthaftung
• 1951 Übersiedlung nach Lienz, Angestellter bei Lederfabrik
• 1961-1971 Gerichtliche Ermittlungen wegen Beteiligung an Aktion Reinhardt
• 1971 Verhaftung, Haft in Wien • 1972 Prozess in Klagenfurt, Vertagung
• 1976 Einstellung des Prozesses
Reinhold v. Mohrenschildt
• 1933-37 Studium Hochschule für Welthandel, Konsularakademie
• 1935 Beitritt SS, illegale Tätigkeit Sicherheitsdienst der SS
• 1938 Adjutant des Landesleiters der NSDAP Hubert Klausner
• 1938-1939 Politischer Referent beim Gauleiter von Wien (Globocnik)
• 1939 Adjutant von Globocnik in Lublin, Sachbearbeiter für Umsiedlung
• 1940 Beauftragter des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums in Lublin
• 1942 von Globocnik zum stv. Leiter der Aktion Zamość bestellt
• 1944 Leiter Gauamt für Volkstumsfragen, Klagenfurt
• 1945 Kontaktaufnahme im Mai zu alliierten Armeen
• 1945-1947 Internierung im britischen Entnazifizierungslager Wolfsberg • 1947 Festnahme, Interventionen durch Politiker, Enthaftung • Besitzer Gut Freudenberg (Magdalensberg), Landwirt
• 1961 Gerichtliche Ermittlungen wegen Beteiligung an Aktion Reinhardt
• 1962 Einstellung der Ermittlungen
Biografie: Katarzyna und Czeslawa Kwoka
• Mutter und Tochter lebten in der Gemeinde Nielisz, Kreis Zamość
• 1942 Räumung des Dorfes im Rahmen der Aktion Zamość
• Deportation in das Umsiedlungslager Zamość, Selektion
• Deportation ins KZ Auschwitz
• Tod im KZ Auschwitz
Biografie 6: Yehuda Lerner (zu Stills Aufstand Sobibor)
• Aufgewachsen in Warschau
• 1940 Ghettoisierung in Warschau
• 1942 Festnahme im Warschauer Ghetto
• 1942-1943 Zwangsarbeit in Smolensk, Flucht aus acht Lagern
• 1943 Deportation in das Vernichtungslager Sobibor
• Beteiligung am Aufstand in Sobibor und Flucht
• 1943-1945 Partisane in Polen
• 1945 Flucht nach Deutschland
• 1947 Auswanderung nach Israel
Biografie: Franz Zojer
• Studium der Rechtswissenschaft
• 1921 Eintritt in den Landesdienst • 1925 Abteilungsleiter Finanzen, Landes-Hypothekenanstalt
• 1927 Leiter Landespressedienst
• 1930-1945 Direktor Landes-Hypothekenanstalt
• 1938 Oberregierungsrat, Leiter Abteilung IIIb (Öffentliche Fürsorge)
• 1943-1945 Leiter Abt. III (Finanzen), Oberstes Kommissariat für die Operationszone Adriatisches Küstenland, Verwertung des beschlagnahmten Vermögens aus jüdischem Besitz
• 1945 Entlassung durch britische Militärregierung
• 1951 Wahl zum Direktor der Landes-Hypothekenanstalt durch SPÖ und VdU
• 1952-1962 Direktor der Landeshypothekenanstalt
• 1959-1969 Vorstand Verein der Freunde des Magdalensberg
Nach dem Massenmord
Überlebende des Holocaust versuchten Europa zu verlassen, viele von ihnen, um in Palästina den jüdischen Staat Israel mitaufzubauen. Eine Fluchtroute verlief über Tarvis und Triest. In Kärnten konfrontierte die britische Militärregierung die Bevölkerung mit dem Massenmord. Globocnik konnte sich mit Höfle, Lerch und Rainer bis Ende Mai 1945 am Weißensee verbergen. Bei der Festnahme verübte er Selbstmord, Lerch gelang die Flucht aus der britischen Internierung. 1946 verurteilte das Landesgericht Klagenfurt die Täter:innen des Massenmords an den Patienten der Psychiatrie in Klagenfurt. Die Täter des Holocaust blieben unbehelligt.
Ermittlungen ins Leere
Als die Briten Ende Mai 1945 Globocnik und Lerch festnahmen, wussten sie von der „Aktion Reinhardt“ nichts. Die Täter hatten alle Spuren der Lager verwischt. Die Kärntner Justiz verurteilte Lerch 1950 nur wegen seiner illegalen SS-Mitgliedschaft vor 1938. Seine Tätigkeit in Polen und Italien verschwieg er. Er übernahm in Klagenfurt das Kaffeehaus seiner Mutter. Das Tanzcafé Lerch wurde zu einem beliebten Treffpunkt. Erst in den 1960er Jahren führten deutsche Ermittlungen auch in Österreich zu einem Strafverfahren gegen Globocniks Mitarbeiter. Die Justiz sammelte Zehntausende Seiten an Dokumenten, doch Mohrenschildt, Pohl, Lerch und andere wiesen jede Mitschuld von sich. Überlebende gab es nicht, Angaben in Dokumenten bestritten sie. Dennoch ließ die Staatsanwaltschaft Wien 1972 Lerch und Pohl verhaften und erhob Anklage. Dies führte in Kärnten zu Entrüstung und politischen Interventionen. Der Prozess wurde nach Klagenfurt verlegt, mangels Zeugen vertagt und 1976 eingestellt. Die Akten zeigen die Bemühungen von Staatsanwälten, aber auch nachlässige Einvernahmen durch Richter. In der Gesellschaft gab es wenig Verständnis für den Prozess, das Mitgefühl galt den Angeklagten, nicht den Opfern. Ermittlungen zur Rolle Lerchs in Triest wurden erst gar nicht aufgenommen.
Gegen-Erinnern
Etwa zehn Jahre später sah der Student Helge Stromberger im Landesgericht Klagenfurt die Gerichtsakten erstmals durch. Seine Erkenntnisse zu den Kärntner SS-Männern bei der Aktion Reinhardt publizierte er 1987 in einer Studie über den Massenmord an den Patient:innen in der Klagenfurter Psychiatrie. Öffentliches Gedenken an den Holocaust begann in Kärnten erst 1996 auf Initiative des Vereins Erinnern Villach. Im Jahr 2001 rüttelte der Kärntner Schriftsteller Werner Kofler mit seinem Theaterstück „Tanzcafê Treblinka“ an der gesellschaftlichen Verdrängung und Tabuisierung des Massenmords in Kärnten.