Aus Kärnten raus.
Deportation und Umsiedlung
Nach der Machtübernahme im März 1938 gingen die Nationalsozialisten daran, ihr Ideal einer „deutschen Volksgemeinschaft“ zu verwirklichen. Ein zentrales Vorhaben in Kärnten: Das Land vollständig zu germanisieren. Ins Visier gerieten sehr bald jene Kärntner:innen, die slowenisch sprachen oder sich als Slowen:innen bekannten. Mit der NSDAP kamen führende Funktionäre von deutschnationalen Organisationen in Machtpositionen, die sich schon bisher in Vereinen wie dem Kärntner Heimatbund oder der Kärntner Landsmannschaft der antislowenischen „Volkstumsarbeit“ verschrieben hatten. Einer von ihnen war Alois Maier-Kaibitsch. Seit 1934 illegaler Nationalsozialist erhielt er im August 1938 die Leitung der „Volkstumsstelle“ in der Landeshauptmannschaft übertragen. Sofort beauftragte er den jungen Kärntner Geografen Herbert Paschinger, die „Nationalslowenen“ und „Ausländer“ in Südkärnten zu erheben und das Ausmaß ihres Besitzes festzustellen. Kopien der Studie wurden erst vor Kurzem entdeckt. Sie war eine der Vorarbeiten für die Verfolgung von Slowen:innen, die Beschlagnahmung ihres Besitzes und ihre Deportation im April 1942. Sie war Teil des größeren Vorhabens, „deutschen Volks- und Kulturboden“ in Ost- und Zentraleuropa ausfindig zu machen und für das Deutsch Reich zu „festigen“.
Erfassen „Nationalslowenen“
Wer als „Nationalslowene“ identifiziert wurde, galt als Feind und war verdeckter oder direkter staatlicher Gewalt ausgesetzt.
Der Begriff „Nationalslowenen“ war seit dem späten 19. Jahrhundert in Kärnten und der Steiermark in Verwendung. Deutschnationale bezeichneten damit jene Slowenischsprachigen, die nicht bereit waren, sich unterzuordnen. Nach der Volksabstimmung 1920 galt der Begriff in Kärnten allen Slowen:innen, die sich in slowenischen Organisationen engagierten, als Wähler der Partei der Kärntner Slowenen galten oder auch nur im Verdacht standen, nicht loyal zur Republik Österreich und zum Großdeutschen Reich zu stehen. Eigentlicher Zweck war, die slowenischsprachige Bevölkerung in eindeutschungswillige „Windische“ und feindliche „Nationalslowenen“ zu scheiden. Er zielte auf Ausgrenzung jener, die Widerstand gegen die Eindeutschung leisteten oder verdächtigt wurden, es zu tun. Er diente zugleich jenen Menschen slowenischer Sprache zur Abgrenzung, die sich dem deutschnationalen Lager zuwandten.
An der hier erstmals gezeigten Studie waren neben Herbert Paschinger auch der Mitarbeiter des Kärntner Heimatbundes Richard Wanner und der Lehrer Eduard Manhart beteiligt. Am Rande außerdem der Historiker Wilhelm Neumann. Alle waren vor 1938 fest im deutschnationalen Lager verankert und wurden Mitglieder der NSDAP.
Die Studie listet Gemeinde für Gemeinde 1.645 „Nationalslowenen“ auf und gibt die Größe ihres Besitzes an. Bei 285 machten die Autoren Anmerkungen wie „fanatisch“, „gefährlich“, „besonders gefährlich“, „eingefleischter Nat.sl. Hetzer“, „sehr verbissen“, „sehr extrem nat. sl.“.
Die Studie war die bislang umfangreichste feindliche Erfassung und Kategorisierung von Kärntner Slowen:innen. Eine erste Maßnahme, die sie vorschlug, war der Austausch der slowenischen Pfarrer. Rund 70 Prozent der von der Aussiedlung betroffenen slowenischen Familien finden sich darin.
Deportation
Umsiedlung und Zwangsarbeit Begriff und Studie waren Vorboten von Staatsgewalt. Am 14. April 1942 begann, was die Nazis „K-Aktion“ nannten.
Am 14. und 15. April 1942 rückte das Reservepolizeibataillon 171 in Südkärnten aus, um 227 slowenische Familien bzw. 1075 Slowen:innen von ihren Wohnstätten in ein Sammellager in Klagenfurt/Ebenthal zu verbringen. Bereits seit 1941 führten die Nazis im besetzten Slowenien große Deportationen durch. Die Deportierten kamen in Lager der „Volksdeutschen Mittelstelle“ in Deutschland, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten. Die Gestapostelle Klagenfurt erklärte sie zu „Volks- und Staatsfeinden“ und beschlagnahmte ihr Vermögen. Die Höfe wurden zum Teil Kanaltalern zugewiesen oder lang gedienten Parteigenossen zur Pacht überlassen.
Der meisten Deportierten kehrten Mitte Juli 1945 zurück, ein Teil wurde von der britischen Militärregierung neuerlich interniert. Endlich auf ihren Höfen, fanden sie diese ausgeplündert vor. Erst 1947 gelangten sie wieder in den Besitz ihres Grund und Bodens.
Versprechen und Verbrechen
Aus dem Kanaltal
Deutsch- und slowenischsprachige Kanaltaler wurden zum Spielball völkischer Politik.
Hitler schloss 1939 mit dem italienischen Diktator Benito Mussolini ein Abkommen über die Zukunft der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit in Italien. Ihre Angehörigen sollten sich entscheiden, ob sie künftig im Deutschen Reich leben wollten („Optanten“) oder unter italienischer Herrschaft, die keine Rücksicht auf ihre Sprache und Kultur nahm. Im Kanaltal entschieden sich 4.576 Menschen (viele davon auch slowenischsprachig) für den Umzug nach Kärnten. Die Kärntner Nationalsozialisten feierten ihn als völkische Heimkehr.
Doch in Kärnten fehlten Unterkünfte. Erst im Sommer 1940 wurde mit dem Bau von „Kanaltaler Siedlungen“ begonnen. Wer seinen Besitz im Kanaltal aufgegeben hatte, hatte Anspruch auf eine Liegenschaft in Kärnten. Am freien Markt konnte der Bedarf nicht gedeckt werden. Mit der Aussiedlung der Slowen:innen machte das NS-Regime gewaltsam 200 Höfe frei. Am Tag der Deportation empfing Maier-Kaibitsch in Klagenfurt feierlich 224 Kanaltaler.
Bei Kriegsende waren ca. 100 slowenische Höfe unter Kanaltaler Bewirtschaftung. Im Spätsommer 1945 mussten sie die Höfe wieder verlassen und standen vor dem Nichts. Die Nationalsozialisten hatten die Kanaltaler Familien benutzt, sie selbst verloren zweimal das Zuhause.
Biografien
Bio 1 Alois Maier-Kaibitsch (1891–1958)
• 1919 Teilnahme an Kärntner Grenzkämpfen
• 1920 Stv. Geschäftsführer des Kärntner Heimatdienstes • 1921 Leitung des Kärntner Heimatbundes
• 1934 Beitritt zur NSDAP • 1938 Mitglied der Landesregierung, Leiter der „Volkstumsstelle“, SS-Obersturmführer
• 1942 Leiter des Gauamts für Volkstumsfragen in Kärnten
• 1947 Verurteilung wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft
• 1955 Ersuchen der Kärntner Landsmannschaft um Amnestie
• 1959 Würdigung durch den Kärntner Heimatdienst
Zitat „Die Bestandsaufnahmen sind im Rohen so gut wie durchgeführt. Meine Mitarbeiter, an deren Spitze Dr. Paschinger, haben ausgezeichnete Arbeit geliefert. Wir sind bereits an der Verarbeitung. Auch die 16 Studenten, die Neumann schickte, sind eingesetzt“ Alois Maier-Kaibitsch, 4.10.1938 „Die Ereignisse auf dem Balkan […] geben uns die Handhabe, im Gebiet nördlich der Karawanken mit der sogenannten slowenischen Minderheit Schluß zu machen.“ Maier-Kaibitsch, 10.7.1942
Herbert Paschinger (1911–1992)
• Sohn des Geografen Viktor Paschinger
• 1929–1934 Studium der Geographie, Universität Innsbruck
• 1936 Beitritt zur NSDAP (eigene Angabe)
• 1938–1940 Assistent am Geographischen Institut, Universität Innsbruck
• 1938 Antrag auf Aufnahme in die NSDAP
• 1938 Durchführung der Studie „Die Besitzungen der Ausländer und Nationalslowenen in Kärnten“
• 1939 Aufnahme in die NSDAP • 1941–1945 Dienst in der Wehrmacht
• 1948 Habilitation an der Universität Innsbruck
• 1958 Universitätsprofessor an der Universität Graz
• Goldenes Ehrenzeichen des Landes Kärnten
Zitat
„Der erste Teil der Arbeit, der nationalpolitische Erhebungen und Beobachtungen umfasste, ist eben abgeschlossen worden. Man hat mich damit betraut, weil ich mit den Leuten hier schon länger umzugehen gelernt habe.“ Herbert Paschinger, 31.8.1938
Richard Wanner (1909–1956)
• 1929–1935 Studium der Geschichte an den Universitäten Wien und Innsbruck
• 1938/39 Schriftleiter der Zeitschrift Heimatkreis (Kärntner Heimatbund), Mitwirkung an der Studie „Die Besitzungen der Ausländer und Nationalslowenen in Kärnten“
• 1940 Geschäftsführer der Amtlichen Umsiedlungsstelle des Gaugrenzlandamtes, zuständig für die Umsiedlung der Kanaltaler
• 1941 Mitarbeiter der Dienstelle des Beauftragten des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums • 1941 Aufnahme in die NSDAP, nach eigenen Angaben 1944 ausgeschlossen
• 1943 Mitarbeit an der Ausstellung „1200 Jahre Grenzland des Reiches“
• 1946 Kanzleileiter und Kulturreferent der SPÖ Kärnten • 1949 Mitarbeiter des Kärntner Landesarchivs
Zitat
„Die Vorarbeiten für die Umsiedlungsaktion waren streng geheim und hatte ich auch schon auf Grund meiner Stellung dienstlich gar nicht die Möglichkeit, mich damals näher darüber zu informieren.“ Richard Wanner, 10.7.1946
Eduard Josef Manhart (1902–1945)
NSDAP-Gauleitung, Schwiegersohn von Wutte
• Sohn von Prof. Eduard Manhart, aktiv in der Evangelischen Pfarre Klagenfurt
• 1921–1925 Studium der Mathematik und Physik an der Universität Graz
• Lehrer an Schulen und der Lehrerbildungsanstalt Klagenfurt
• 1934 Bücherwart des Vereins „Naturkundliches Landesmuseum für Kärnten“
• 1934 Beitritt zur NSDAP
• 1939 Heirat mit Ilse Wutte, Tochter von Martin Wutte (Direktor des Landesarchivs, Schriftleiter Carinthia I)
• 1938/39 Mitwirkung an der Studie „Die Besitzungen der Ausländer und Nationalslowenen in Kärnten“
• 1939 Einberufung zur Wehrmacht
• 1945 vermisst (Todeserklärung 1959)
Wilhelm Neumann (1915–2009)
• 1933–1938 Studium der Geschichte an der Universität Innsbruck
• 1936 Beitritt zur SA in Innsbruck, Truppführer und Schulungsleiter
• 1938 Aufnahme in die NSDAP • 1938–1939 wissenschaftliche Hilfskraft, Historisches Seminar, Universität Innsbruck • 1939 wissenschaftlicher Assistent • 1939–1947 Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft
• 1948–1967 Lehrer Hauptschule Arnoldstein, Villach und BRG Villach
• 1967 Mitarbeiter Kärntner Landesarchiv • 1968 Direktor Kärntner Landesarchiv
• 1971–1990 Schriftleiter der Carinthia I (außer 1975)
Reginald Vospernik (*1937)
• Sohn der Gastwirtin Barbara Vospernik, Föderlach
• April 1942 zwangsweise Deportation mit der Mutter, der Tante Maria und dem Großvater Janez Vospernik, Internierung im Lager Rehnitz/Renice in Pommern (heute Polen) und im Lager Eichstätt
• Mai 1942 Einzug der Kanaltaler Familie Fillafer aus Pontebba ins Haus der Familie
• 1943 Entlassung nach Salzburg, Gauverbot für Kärnten
• September 1945 Rückkehr nach Föderlach • Humanistisches Gynmnasium Tanzenberg
• 1955 Matura, Studium Slawistik und Germanistik, Universität Wien
• 1961 Lehrer und von 1978 bis 2000 Direktor am Bundesgymnasium für Slowenen, Klagenfurt
• Ab 1962 Funktionär, 1968–1972 Obmann des Rates der Kärntner Slowenen
• 1982 bis 1986 Präsident der Föderalistischen Union europäischer Volksgruppen Flensburg
Zitat
„Es wäre ohne die von Einheimischen erstellten Konskriptionslisten und ohne Mitwirken des berüchtigten Ortsdreiecks – Bürgermeister, Bauernführer und Ortsgruppenleiter – nicht möglich gewesen.“ Reginald Vospernik, 20.6.2021
Zweisprachiges Kärnten
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus schlug die provisorische Landesregierung aus SPÖ, ÖVP, KPÖ und dem Vertreter der Kärntner Slowen:innen Joško Tischler ein neues Kapitel auf. Am 3.10.1945 beschloss sie, den zweisprachigen Unterricht in den Volksschulen Südkärntens. Am Landesgericht Klagenfurt wurde Alois Maier-Kaibitsch 1947 für die Deportationen zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Staatsvertrag von 1955 verpflichtete sich Österreich, die Rechte der nationalen Minderheiten umzusetzen, gleichrangig mit anderen allgemeinen Prinzipien: den Menschenrechten, der Demokratie, der Selbstständigkeit in den Grenzen von 1938, dem Verbot nazistischer Organisationen.
„Die Schulen sind eröffnet und können ihre wirkliche Aufgabe erfüllen. Im gemischtsprachigen Gebiet ist eine neue Schultype eingeführt, die den dort herrschenden nationalen Verhältnissen vollkommen entspricht. Mit Genugtuung können wir feststellen, dass die Beurteilung der zweisprachigen Schule durch fachmännische britische Stellen zur Ehre des Landes gereicht.“ Landeshauptmann Hans Piesch, Festsitzung des Kärntner Landtags, 8.5.1946
Deutschsein
Herbert Paschinger und Richard Wanner setzten ihre Karrieren nach 1945 bruchlos fort. Während Wanner für die SPÖ und für das Landesarchiv tätig wurde, stieg Paschinger zum Professor an der Universität Graz auf. Paschinger hielt an der antislowenischen Ideologie fest. Den Artikel 7 betrachtete er noch 1981 als „schwere Hypothek“. Das Aufstellen zweisprachiger Ortstafeln sah er als Versuch ein slowenisches Territorium zu markieren, „das […] an Jugoslawien angeschlossen werden könnte.“ Wiedergegründete deutschnationale Vereine wie der Kärntner Heimatdienst nahmen den Kampf gegen die zweisprachige Schule auf. 1958 gab Landeshauptmann Ferdinand Wedenig nach und ermöglichte die Abmeldung. Das war ein Erfolg für die deutschnationalen Verbände.
Zitat
„Die höhere Kultur der deutschsprachigen Bevölkerung zehrte am slowenischen Bestand.“ Herbert Paschinger, 1957
Erinnern & Emanzipation
Mitte der 1960er Jahre existierten wesentliche Inhalte des Artikel 7 nur auf dem Papier. Landeshauptmann Hans Sima erkannte zwar die Notwendigkeit ihrer Umsetzung, zugleich ließ er den deutschnationalen Organisationen viel Raum. 1970 betraute er Franz Koschier, den Direktor des Landesmuseums und Obmann des Heimatwerkes mit einer langen Vorgeschichte als militanter Volkstumskämpfer vor und während des Nationalsozialismus, mit der Ausrichtung der Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Volksabstimmung von 1920. Slowenische Jugendliche begannen sich öffentlich für ihre Rechte einzusetzen. Sie verknüpften die Erinnerung an Widerstand und Verfolgung mit der Gegenwart. Auf dem Rechtsweg wurde eine zweisprachige Volksschule in Klagenfurt erstritten. Doch erst 2012 wurde es möglich, ein Denkmal für die Deportierten zu errichten und eine Ausstellung zur Deportation im Landesarchiv zu eröffnen.
Zitat
„Unglaublich, was alles an rechtlichen Schritten, vor allem an politischen und menschlichen Anstrengungen nötig war, um eine ganz normale öffentliche zweisprachige Volksschule in Klagenfurt zu ermöglichen.“ (Sepp Brugger)
Rechte & Konsens
Gesetzesmäßig ließ Landeshauptmann Hans Sima 1972 in Südkärnten zweisprachige Ortstafeln aufstellen, um den Artikel 7 zu erfüllen. Sie wurden gewaltsam ausgerissen. Der „Ortstafelsturm“ löste bei vielen Kärntner Slowen:innen böse Erinnerungen an den Nationalsozialismus aus. Hans Sima war mit seiner Politik gescheitert. Sein Nachfolger, Landeshauptmann Leopold Wagner, selbst ehemaliges Mitglied der NSDAP, trat gegenüber den slowenischen Organisationen autoritär auf und versuchte ehemalige Nationalsozialist:innen an die SPÖ zu binden. Dieses Erbe übernahm später Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ). Erst 2001 erzwang der Verfassungsgerichtshof neue Verhandlungen über die Erfüllung des Artikel 7. Begleitet von einer „Konsensgruppe“ wurde 2011 ein Kompromiss erreicht. Seither scheinen die Rechte der Kärntner Slowen:innen zwar nicht mehr Spielball der Politik zu sein. Doch wie breit ist der Respekt für den Ausbau der sprachlichen Vielfalt?