Widerstand und Repression
KZ Loibl
„Auch dazu gab ein politisches Ereignis den Anlaß: die Angliederung Oberkrains an Kärnten. Für die Zukunft aber eröffnet der neue Tunnel den kürzesten Weg Kärntens zur Adria und die besten Aussichten auf eine neue Blütezeit des Handels und Verkehrs zwischen Kärnten und dem Meere.“ Martin Wutte, 1943
Nach der Machtübernahme in Deutschland im Jahr 1933 errichtete das NS-Regime Konzentrationslager (KZ), um politische Gegner:innen auszuschalten („Schutzhaft“), als „kriminell“ oder „asozial“ bezeichnete Personen in Vorbeugehaft zu nehmen. Hinzu kamen Menschen, die als Feinde der „Volksgemeinschaft“ definiert wurden, jüdische Personen, Roma und Sinti, Homosexuelle. Die Lager unterstanden der SS, einer Kampforganisation der NSDAP, die im NS-Staat mit der Polizei verschmolz. Nach dem „Anschluss“ wurde in Österreich in Mauthausen (Oberösterreich) ein großes Konzentrationslager errichtet. Nach Kriegsbeginn verschleppte die SS Menschen aus ganz Europa hierher, vor allem jene, die sich der Besatzungsherrschaft widersetzten. Ab 1941 ermordete die SS auch in Mauthausen Häftlinge in einer Gaskammer. Sie verteilte Häftlinge außerdem auf mehr als 40 Außenlager auf dem Gebiet des ehemaligen Österreich, um sie in der Rüstungsindustrie und auf Baustellen als Sklavenarbeiter einzusetzen. Dafür schloss sie Verträge mit staatlichen Stellen und privaten Unternehmen ab. Zwischen 1938 und 1945 wurden etwa 190.000 Personen aus mehr als 40 Nationen in das KZ-System Mauthausen deportiert. Mindestens 90.000 kamen ums Leben.
Zahlen & Fakten
• 1938 Errichtung des Konzentrationslagers Mauthausen
• 1938–1945 190.000 Häftlinge aus 40 Nationen, mindestens 90.000 Tote
• Mehr als 40 Außenlager auf dem Gebiet des ehem. Österreich
• Sklavenarbeit in der Rüstungsindustrie und auf Baustellen
• 1943 Errichtung von Außenlagern auf der Süd- und Nordseite des Loiblpasses
• 1943–1945 Bau des Loibltunnels
• 1.800 Häftlinge aus elf Nationen
• Mindestens 40 tote Häftlinge, mindestens 143 starben im KZ Mauthausen
• 1947 Britischer Prozess in Klagenfurt zu Verbrechen am Loibl
Kärnten will ans Meer
Wunsch und Verbrechen Kärntens Elite wollte einen schnellen Weg nach Oberkrain und an die Adria, einen Tunnel durch den Loiblpass.
Nach dem Überfall auf Jugoslawien im April 1941 wurde Oberkrain an den Reichsgau Kärnten angegliedert. Neben der „Eindeutschung“ Oberkrains verfolgten die Kärntner Nationalsozialist:innen auch ökonomische Ziele, darunter bessere Verkehrswege nach Oberkrain und an die Adria. Alle bisherigen Pläne, den Weg über den steilen Loiblpass abzukürzen, waren gescheitert, wie der ehemalige Direktor des Landesarchivs Martin Wutte in der Zeitschrift Carinthia I darlegte. 1942 zerstörten slowenische Partisan:innen ein Umspannwerk in Tržič. 1943 schloss die staatliche Bauleitung Verträge mit der Baufirma Universale AG und dem KZ Mauthausen (SS) über den Einsatz von KZ-Häftlingen und die Errichtung von Häftlingslagern am Süd- und Nordportal der Tunnelbaustelle ab. Im Juni 1943 begann die Zwangsarbeit der Häftlinge. Sechs Monate später feierten Gauleiter Friedrich Rainer, der Höhere SS- und Polizeiführer in der Operationszone Adriatisches Küstenland Odilo Globocnik und der staatliche Bauleiter Max Schmid den Tunneldurchstich. Den Bau ließ Rainer im Juni 1944 vom Propagandamaler Ernst Vollbehr dokumentieren. Vier Aquarelle konnte Vollbehr 1950 an den Direktor des Landesmuseums Gotbert Moro verkaufen.
SS und Polizei
Die Häftlinge standen unter der Herrschaft von SS-Männern, Polizisten bewachten Lager und Baustelle.
Etwa 100 SS-Männer bewachten die Häftlinge im Lager und übten oft wahllos Gewalt gegen sie aus. Kommandant war zunächst Julius Ludolf, der abberufen wurde, weil er zu viele Häftlinge derart misshandeln ließ, dass sie arbeitsunfähig waren. Sein Nachfolger Jakob Winkler war nicht viel besser. Als Lagerarzt fungierte der Klagenfurter SS-Arzt Sigbert Ramsauer. Ihm oblag die Selektion kranker Häftlinge, die zurück nach Mauthausen geschickt wurden, wo mindestens 143 starben. Die SS führte unter den Häftlingen eine Hierarchie ein: Sie machte „Kapos“ für die Disziplin verantwortlich. Auch sie quälten andere Häftlinge. Die Bewachung des Lagerareals und der Baustellen besorgten Polizisten. Einige gehörten zur Polizei-Sicherungskompanie Alpenland in Klagenfurt. Den größten Teil stellte das Polizeiregiment 19, das in Oberkrain zur Partisanenbekämpfung und Durchführung von Deportationen stationiert war. In beiden Einheiten gab es viele Österreicher. Einer von ihnen war Friedrich Spiel aus Hall in Tirol. Er fotografierte am Loibl und klebte die Fotos später in ein Album ein. Friedrich Spiel half den Häftlingen Louis Balsan, Felix Maurice und Henri Verhoeven mit Essen und schrieb Briefe an ihre Familien.
Häftlinge
Aus elf Nationen Unter den Häftlingen befanden sich viele Franzosen, die sich gegen die deutsche Besatzung gewehrt hatten.
Etwa 800 der Häftlinge am Loibl waren von der SS aus Frankreich in das KZ Mauthausen verschleppt worden. Unter ihnen waren Kommunisten und Konservative. Andere waren verhaftet worden, weil sie sich nicht zur Arbeit in Deutschland verpflichten ließen. Weitere große Gruppen waren aus Polen, der Sowjetunion und Slowenien. Viele der etwa 70 deutschen und österreichischen Häftlinge hatte die SS als „Kriminelle“ klassifiziert, manche setzte sie als „Kapos“ ein. Das Loibl-KZ war das einzige KZ im Deutschen Reich, das von Partisanenwiderstand umgeben war. Auch innerhalb der beiden Lager organisierten sich Häftling, um sich zu helfen, die Kälte, den Hunger, die Schwerarbeit und die Schläge zu überstehen. Hilfe erhielten sie von einigen Angestellten der Bauleitung. Der 20-jährige Janko Tišler hatte Kontakte zur slowenischen Befreiungsfront. Er informierte Häftlinge über den Kriegsverlauf, stellte Verbindungen zu den Partisan:innen her, schmuggelte verbotene Post und Lebensmittel ein. Die Partisan:innen boten Häftlingen Aufnahme. So gelangen 22 von 27 Fluchtversuchen.
„Am Anfang waren alle misstrauisch gegenüber den anderen. […] Wir waren wie Tiere, die gejagt wurden. Wir schauten nicht links, noch rechts. Um uns zu retten. Später, da ist die Solidarität entstanden. Wir haben eine Widerstandsorganisation gegründet.“ Jacques Beteille, 2002
Biografien
Louis Balsan (1911–1982)
• Sohn einer Industriellenfamilie
• 1932/34 Bobfahrer bei den Olympischen Spielen
• 1942 Verhaftung wegen Widerstand, KZ Mauthausen
• 1943 Außenlager Loibl, zeitweise Barackenschreiber
• 1945–1947 Ermittlungen zu den Verbrechen am Loibl
• 1947 Zeuge im Loibl-Prozess
• 1973 Buch „Le ver luisant“ (Der Glühwurm) über seine Haft am Loibl
Zitat: „[…] die Art, wie die Deportierten behandelt wurden, [wird] eine der dunklen Seiten der Menschheitsgeschichte bleiben, die sich nicht mit den abscheulichsten Phasen der antiken Sklaverei vergleichen lassen.“ Louis Balsan, 1946
Janko Tišler (1923–2007)
• 1943–1944 Vermessungsgehilfe auf der Loibl-Baustelle; Aktivist der slowenischen Befreiungsfront
• 1944 Flucht zu den Partisanen
• 1945 Verwundung
• Studium der Geologie in Wien, Belgrad, Paris
• 1995 Buch „Mauthausen na Ljubelju“
• 2007 Buch „Das Loibl-KZ“; Goldenes Ehrenzeichen der Republik Österreich
Sigbert Ramsauer (1909–1991)
• Aufgewachsen in Klagenfurt
• 1929–1940 Studium der Medizin in Innsbruck und Wien
• 1933 Beitritt zur SS und NSDAP
• 1940–1941 Truppenarzt bei SS-Kavallerie
• 1941–1943 Arzt in den KZ Dachau, Neuengamme, Mauthausen/Gusen
• 1943–1945 Lagerarzt KZ Loibl
• 1945–1947 Britische Internierung Wolfsberg
• 1947 Verurteilung zu lebenslanger Haft
• 1954 Haftentlassung • 1954–1956 Arzt im LKH Klagenfurt
• 1956–1991 Ordination in Klagenfurt
Friedrich Spiel (1916–1998)
• Handelsangestellter
• 1941 Einberufung zur Polizei-Reserve
• 1942 Abstellung zum Polizeiregiment 19 in Oberkrain
• 1943–1944 Wachpolizist beim KZ Loibl, Hilfe für Häftlinge
• 1944 Verlegung nach Frankreich • 1944–1946 Kriegsgefangenschaft in den USA
• 1947 Zeuge beim Loibl-Prozess
1947 – Der britische Loibl-Prozess
Die Alliierten beschlossen 1943 die juristische Ahndung der deutschen Verbrechen. 1947 mussten sich zehn SS-Männer, darunter Sigbert Ramsauer, und zwei Kapos vor einem britischen Gericht in Klagenfurt verantworten. Mehr als 20 ehemalige Häftlinge traten als Zeugen auf. Der einzige Zeuge aus den Wachmannschaften war Friedrich Spiel. Die Richter verurteilten die Lagerführer Jakob Winkler und Walter Briezke zum Tode. Ramsauer wurden zwei Morde an Häftlingen nachgewiesen. Er bekam lebenslange Haft.
„Dann muss ich erzählen, wie der Rapportführer Führer aus dem Nordlager […] es genoss, wenn wir uns zum Appell aufstellten und er von uns verlangte, ‚den Teppich zu machen‘. Der Haken an der Sache war, dass immer ein Kopf, eine Gliedmaße oder ein Rücken herausragte. Dann stürmte Toutoune los, um den Teppich auszugleichen, und er rannte mit dem Knüppel in der Hand über unsere Körper. Mein Kopf wurde oft von einem seiner Stiefel zerquetscht.“ André Hantz, 2001
Amnestie und Amnesie
Die Republik Österreich entließ Ramsauer 1954 nach vielen Interventionen von Politikern, vor allem der ÖVP, vorzeitig aus der Haft. Er erhielt eine Stelle im LKH Klagenfurt, das mittlerweile vom ehem. SS-Standartenführer und stv. Reichsgesundheitsführer Oskar Kauffmann geleitet wurde. Ihn hatte die SPÖ ins Amt gehievt. 1956 bekam Ramsauer eine Ordination in Klagenfurt. Im Jahr 1963 wurde der Loibltunnel für den Verkehr geöffnet. Wie schon beim Durchstich 1943 war Max Schmid mit dabei, nun als Landesbaudirektor.
Zitat
„(...) zu meinem Bedauern mitteilen, daß auch das Bundesministerium für Inneres keine Vormerkungen hat, aus welchen die genaue Lage der beiden am Loiblpass bestehenden Nebenlager des KL Mauthausen hervorgeht. Den seinerzeit durchgeführten Erhebungen zufolge sind weder bei der Verwaltungs- noch bei den Sicherheitsbehörden oder Dienststellen im Bundesland Kärnten Aufzeichnungen über die beiden Lager vorhanden.“ (Bundesministerium für Inneres, 19.10.1967)
Erinnern nach dem Vergessen
Slowenien eröffnete 1954 das Denkmal „J’accuse“ für die Opfer der SS. In Kärnten wurde der Geologe des Tunnelbaus Franz Kahler Kustode am Landesmuseum und Präsident des Naturwissenschaftlichen Vereins. 1995 erhielt ein Platz in Klagenfurt seinen Namen. Im selben Jahr organisierte das Mauthausen Komitee Kärnten/Koroška die erste Gedenkfeier am Loibl und begann mit ehemaligen Häftlingen (Amicale de Mauthausen) und Janko Tišler das Nordlager zu erforschen. 2008 pachtete die KZ-Gedenkstätte Mauthausen das Lagerareal und rodete das bewaldete Gelände.
Freilegen
In den Jahren 2008, 2011-2013 führten das Bundesdenkmalamt und das Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien Untersuchungen auf dem Gelände des Lagers Loibl-Nord durch. Ziel war es, die verborgenen Strukturen des Lagers freizulegen. Auf insgesamt sechs in Hanglage angelegten Terrassen konnten eine Wachbaracke der SS, fünf Häftlingsbaracken und eine Waschbaracke dokumentiert werden. An der Basis des Hangs lagen der Appell-Platz und die Küchenbaracke. Im Wald wurden umfangreiche Stacheldrahtreste des Lagerzauns, Fundamente der Wachtürme sowie die Spuren des Lagertors nachgewiesen.
Unter den Funden ist eine silberne Skapuliermedaille, die sehr abgegriffen, also häufig angefasst worden ist. Auf einer Seite befindet sich eine Herz-Jesu Darstellung, auf der anderen Seite sind die Madonna mit Jesu sowie eine dritte Person abgebildet. Solche Medaillen und Anhänger erhielten Ordensbrüder bei der Einkleidung. Ein weiteres französisches Objekt ist der Deckel einer Marmeladendose. Zu lesen bzw. zu ergänzen sind die Schriftzüge confitures und rac, was sich zu „en vrac“ (loses Gebinde) ergänzen läßt. Häftlinge durften von Angehörigen kleine Päckchen empfangen. Post für Häftlinge wurde auch von Zivilarbeitern wie Janko Tišler eingeschmuggelt.
Einsicht | Aussicht
Aussicht: 80 oder 81 Jahre nach der Befreiung wird das Zollamtsgebäude, ein Relikt nationaler Grenzen, abgerissen. Es entsteht der Denkort „Einsicht | Aussicht“. Was ist Einsicht und was Aussicht? Was wurde aus den Aussichten des Historikers Wutte? Aus dem Traum Oberkrain zu beherrschen und von der Adria zu profitieren? Was waren Wutte und andere bereit, zu unterstützen, zu akzeptieren, zu rechtfertigen, um möglichst Alles für Kärnten herauszuholen?
Wann kippt das Versprechen, das viele attraktiv finden, in ein Verbrechen, an dem niemand (mehr) beteiligt gewesen sein will? Werden Sie bei Einsicht | Aussicht stehen bleiben?