Kärntner Wissenschaft

LEITZITAT:

In Kärnten war es der politischen Führung im Oktober 1942 gelungen, insbesondere in Hinblick auf Germanisierung und Reichsanschluss Oberkrains sämtliche wissenschaftliche Aktivitäten des Landes zu monopolisieren und ausnahmslos unter Kuratel des Gauleiters zu stellen, um den wissenschaftlichen Einsatz nach rein politischen Maßgaben zu dirigieren. Michael Wedekind, 2017

Das Museumsgebäude Rudolfinum wurde im Jahr 1884 eröffnet. Es stand im Besitz von Vereinen, die hier Museen betrieben: Im Parterre unterhielt die Kärntner Landsmannschaft ab 1925 ein volkskundliches Heimatmuseum, im ersten Stock der Naturwissenschaftliche Verein eine entsprechende Ausstellung und im dritten Stock präsentierte der Geschichtsverein für Kärnten seine archäologische und geschichtliche Sammlung. Da es in Kärnten keine Universität gab, prägten die Vereine zusammen mit dem Landesarchiv, das 1904 aus dem Geschichtsverein heraus entstand, und dem 1929 geschaffenen Landeskonservatorat die Wissenschaften in Kärnten, allerdings ohne Dienstposten. Im Jahr 1942 übertrugen die Vereine ihr Eigentum an den Reichsgau Kärnten. Im Gegenzug wurden die Kustoden in den Staatsdienst übernommen. Zum ersten Direktor ernannte Gauleiter Rainer den Kunsthistoriker Walter Frodl. Im Jahr 1950 wurden Gebäude und Sammlungen an die Vereine restituiert. Zugleich verzichteten sie zugunsten des Landes Kärnten auf die Rückstellung, wodurch sowohl die Kontinuität der staatlichen Verwaltung als auch die enge personelle Verflechtung zwischen Vereinen, Museum und Landesverwaltung gewahrt blieb. 1974 wurden die Beziehungen zwischen Land und „Museumsvereinen“ vertraglich festgeschrieben. Sie erhielten für die vollständige Übertragung ihrer Sammlungen die Nutzung von Räumen und Subventionen unbefristet zugesichert. Seit 1998 ist das Museum Anstalt öffentlichen Rechts. Eigentümer ist das Land Kärnten.


Zahlen & Fakten:

• Bis 1942 Landesmuseum betrieben von Geschichtsverein, Naturwissenschaftlichem Verein und Kärntner Landsmannschaft

• 1942 Gründung des „Gaumuseums“ durch Übertragung des Gebäudes und der Sammlungen der Vereine an den Reichsgau Kärnten

• 1942 Ernennung von Walter Frodl zum Direktor des Gaumuseums

• Schaffung von Dienststellen im Gaumuseum und Gründung der „Kärntner Wissenschaftlichen Gesellschaft“

• 1940-1945 Übernahme von beschlagnahmten Kulturgütern aus dem Besitz v. a. von jüdischen Familien

Vereinsmuseen und Gaumuseum: Brüche und Kontinuitäten

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten leitete eine Neuordnung der Wissenschaft in Kärnten ein.

Der März 1938 hatte für zwei im Museum aktive konservative Archäologen bzw. Historiker des Geschichtsvereins gravierende Folgen: Der in der Finanzdirektion tätige Jurist Franz Jantsch erhielt einen Gauverweis und musste Kärnten verlassen. Der hauptberuflich als Bezirkshauptmann von Völkermarkt tätige Hermann L‘Estocq wurde in das KZ Buchenwald deportiert, wo er im Juni 1940 verstarb. Ihn traf die Rache ehemals illegaler Nationalsozialisten, die er vehement bekämpft hatte. Andere, wie Martin Wutte und Gotbert Moro hingegen, begrüßten den „Anschluss“ überschwänglich. Walter Frodl, Landeskonservator und Kustos der kunstgeschichtlichen Sammlung des Geschichtsvereins, sah durch die Beschlagnahmung von Kunstsammlungen jüdischer Besitzer in Wien und des Stifts St. Paul die Chance, die Sammlungen auszuweiten und ihnen überregionale Bedeutung zu geben. Im Verteilungskampf der Museen erhielt er vom zuständigen Leiter der staatlichen Gemäldegalerie Dresden Hans Posse die Empfehlung, das Museum des Geschichtsvereins in den Gaubesitz zu überführen. Frodl bemühte sich nun um die Gründung eines Gaumuseums. Entscheidend für die institutionelle Neuordnung der Kärntner Wissenschaft war die Annexion Oberkrains im April 1941. Sie sollte „wissenschaftlich“ legitimiert werden. Neue Institutionen sollten ein Gegengewicht zur Universität Laibach bilden. Maßgeblich beteiligt an der Neuordnung waren die Volkskundler Georg Graber und Franz Koschier, der Historiker Karl Starzacher, der Historiker Hermann Braumüller, die sowohl in den Vereinen aktiv waren als auch für den NS-Staat arbeiteten. Im Februar 1942 wurde Frodl zum Museumsdirektor ernannt. Er verfasste gemeinsam mit dem Sekretär des Geschichtsvereins Gotbert Moro, Braumüller und Wutte den Entwurf eines Vertrages zwischen Geschichtsverein und Reichsgau Kärnten für die Übernahme des Museumsgebäudes und der Sammlungen. Der Vertrag wurde am 5.10.1942 unterzeichnet, der Festakt fand am 9.10.1942 in der Halle des Museums statt. Einen Tag später hob Gauleiter Rainer das Institut für Kärntner Landesforschung (der Universität Graz zugeordnet) und die Kärntner wissenschaftliche Gesellschaft aus der Taufe. Leiter des Instituts, das vorerst im Museumsgebäude seinen Sitz hatte, wurde der Sprachwissenschafter Eberhard Kranzmayer.

Im Dienst: Völkische Wissenschaft

Zentrale Aufgabe der wissenschaftlichen Institutionen war die völkische Legitimierung der Landnahme.

Weltanschaulich waren die Wissenschafter der Museumsvereine fest im deutschnationalen völkischen Lager verortet, manche seit den frühen 1930er Jahren auch in der NS-Bewegung. Der „Abwehr- und Abstimmungskampf“ (Wutte) von 1919-1920 zur Sicherung der „Südgrenze“ war wesentlicher Bezugspunkt ihrer Tätigkeit, die „rassische“ und kulturelle Überlegenheit der Deutschen in Kärnten zentraler Glaubensbestand. Nun traten sie an, die gewaltsame Landnahme in Oberkrain und die Germanisierung „wissenschaftlich“ zu legitimieren. Gesucht wurde nach „deutschem Blut“ und „deutschem Leben“. Der Geograph Viktor Paschinger, Martin Wutte und Georg Graber erklärten dem Publikum in der Schrift Oberkrain (1942), dass „die neuen Gebiete Kärntens keineswegs so fremdartig sind, wie man sie sich vielleicht vorgestellt hat […].“ Im Sinne der völkischen Reichsideologie hatte Wutte bereits 1941 festgestellt: „So ist Oberkrain […] schon im Mittelalter zu gutem Teil deutscher Volksboden und zur Gänze alter deutscher Kulturboden, der […] sein deutsches Gepräge bis zum heutigen Tag bewahrt hat“. Gauleiter Rainer, der seinen Geschichtelehrer Wutte verehrte, legte 1942 den Forschungszweck des Instituts genauso fest: Die „Ideologie des deutschen Anspruchs auf das uralte germanische Siedlungsland Oberkrains“ sei „sachlich unumstößlich zu begründen.“ Die Ausstellung dazu hieß „Kärnten zwölfhundert Jahre Grenzland des Reiches“, wurde vom Institut für Kärntner Landesforschung, dem Reichsgauarchiv und dem Gaumuseum geschaffen und 1943 in der Landesgalerie gezeigt. Neben der Legitimation von Eroberungen in Slowenien und Oberitalien wurde im Gaumuseum auch die deutsche Kriegsführung glorifiziert, so 1944 in der Wanderausstellung der Wehrmacht „Bergvolk-Soldatenvolk“.

Aneignung: Kultur, Landschaft, Wirtschaft

Kunsthistoriker, Geographen, Archäologen und Volkskundler inventarisierten, selektierten und holten beschlagnahmte Kulturgüter.

In Oberkrain zerstörten die Wissenschaftler die gewachsene slowenische Sammlungskultur, sie waren Akteure der Germanisierung. Die Gauleitung richtete bei der deutschen Zivilverwaltung in Bled eine Abteilung für Archive, Bibliotheken und Museen ein, der die Sammlung von Kulturgütern und der Aufbau eines germanisierten Sammlungs- und Museumswesens oblag. Sie wurde vom Historiker SS-Obersturmführer Karl Starzacher, der seinem Onkel Martin Wutte als Direktor des Gauarchives nachfolgte, geleitet. Unterstützt wurde er vom Volkskundler SS-Oberscharführer Franz Koschier, der speziell für Bibliotheken zuständig war. Die Sammlung von Kunstwerken und anderen Museumsobjekten leitete Walter Frodl. Von Oktober 1942 bis Februar 1943 wurde außerdem SS-Obersturmführer Johann Löhausen mit einem Kreis von Mitarbeitern, u. a. des Gaumuseums, hinzugezogen. Der Plan in Schloss Kieselstein in Krainburg ein neues Museum einzurichten, wurde nicht verwirklicht. Ausgewählte Archiv- und Kulturgüter wurden nach Kärnten verbracht – wie bald darauf auch aus Oberitalien. Im März 1943 übergab Starzacher Frodl die Schlüssel zu Depots mit mehreren tausend volkskundlichen Gegenständen. In Kieselstein wurde mit der Lehrerbildungsanstalt eine zentrale Institution der Germanisierung untergebracht. Ihre Leitung übernahm Franz Koschier. Frodl ließ in Oberkrain und später in Friaul systematisch Kulturgüter fotografieren – die Fotografien befinden sich heute in der Sammlung des Landesmuseums. Die Kärntner Wissenschafter arbeiteten der Besatzungsherrschaft in Slowenien und Oberitalien auch auf andere Weise zu. Für die Raumplanung fertigten sie großformatige Landkarten zur Analyse von Bevölkerung, Infrastruktur, Wirtschaft und Landschaft an. Sie belegen die Absicht einer dauerhaften Herrschaft in Slowenien und Oberitalien.

Bücherraub: Tatorte Oberkrain und Triest

Neben Kunstobjekten holten sich Kärntner Wissenschaftler und Bibliothekare Tausende geraubte Bücher.

Nach der Zuteilung beschlagnahmter Kunstobjekte aus „staatsfeindlichem“ Besitz (vor allem von Jüdinnen und Juden und aus Klöstern) an die Museen des Geschichtsvereins und der Landsmannschaft waren Bücher Objekte der Begierde. In Oberkrain wurden sämtliche Büchereien beschlagnahmt, Werke aus 150 Einrichtungen in der ehemaligen Textilschule in Krainburg gesammelt. Beaufsichtigt wurde die Aktion von Franz Koschier. Die Bücher wurden gesichtet und geordnet, die slowenischen Bücher ausgesondert und zum Teil eingestampft. Einen Teil der Bücher, darunter Bibliotheken von Klöstern, gab Koschier an wissenschaftliche Institute in Kärnten ab. So erhielt das Institut für Kärntner Landesforschung im Gaumuseum zahlreiche Kisten mit Büchern. Frodl entnahm wertvolle Exemplare auch für die Museumsbibliothek. Große Mengen von Büchern konfiszierten die Nazis nach der Besetzung Nordostitaliens aus dem Besitz lokaler jüdischer Familien und von Juden und Jüdinnen aus Wien, die versucht hatten, ihre Mobilien für die Flucht nach Übersee in Triest einzuschiffen. Die Transportkisten wurden im Hafen von Triest aufgebracht, viele Güter zur Verteilung oder Versteigerung ins Deutsche Reich transportiert. Bücher wurden in der Synagoge von Triest gesammelt und sortiert. Der Direktor des Instituts für Landesforschung Eberhard Kranzmayer sandte seinen Bibliothekar Friedrich Zopp nach Triest, um Bücher auszuwählen. Erwin Aichinger, der Leiter des Instituts für Pflanzensoziologie, bediente sich ebenso ausgiebig wie Walter Frodl für das Gaumuseum. Tausende Bücher gingen an weitere Bibliotheken und Institutionen in Kärnten.

Alte Geschichten: Archäologie – Mythen

Trotz aktueller Forschungen wirken Thesen weiter, die vor über 80 Jahren geprägt wurden.

Archäologische Forschungsfragen dienten als Begründung von Gebietsansprüchen. Besonders gut lässt sich das für die Zeit des Frühmittelalters verfolgen. Das slawische Fürstentum Karantanien (ca. 600–817) galt als Keimzelle der slowenischen Nation, womit nach 1918 Gebietsansprüche des SHS-Staates begründet werden konnten. 1939 führte die SS Grabungen im mutmaßlichen slawischen Zentrum Karnburg durch. Archäologische Nachweise für Karnburg als Zentrum des slawischen Fürstentums Karantanien fehlen bis heute. Flechtwerksteine als frühe Kirchenausstattungen weisen auf den Raum Moosburg-Zweikirchen hin. Das Ritual am Fürstenstein (Einsetzung der Herrscher des Herzogtums Kärnten) entstand wohl erst in fränkischer Zeit (9. Jh.), der Herzogstuhl frühestens 976. Das Zollfeld wurde als „ewiges Zentrum“ des Landes propagiert. Bis heute dient der angeblich keltisch-heidnische Vierbergelauf, der seinen Ursprung in einer spätmittelalterlichen christlichen Wallfahrt hat, als Beleg. Der Ulrichsberg – im Mittelalter „mons Carentanus“ („Kärntner Berg“) – ist kein „heiliger Berg“, wie der Archäologe Rudolf Egger 1941 postulierte. Das in den 1930er Jahren dort entdeckte angebliche Heiligtum für Isis-Noreia ist ein spätantiker Wohnbau. Die angeblich aus Nordosteuropa zugewanderten „nordischen“ Illyrer waren im Balkanraum beheimatet und nicht die Träger der eisenzeitlichen Kulturen im Kärntner Raum. Bis heute verkündet allerdings eine Bronzetafel an der Kirchenruine – unterzeichnet mit Landesmuseum Kärnten und Ulrichberggemeinschaft – die Mär eines keltisch-römischen Heiligtums für Isis Noreia und Casuontanus am „heiligen Berg“.

Biografien

  1. Walter Frodl (1908–1994):


•1933 Beitritt zur NSDAP

•1938 Vertragsbeamter, Landeskonservatorat Klagenfurt

•1939 Gaukonservator

•1941 Aufnahme deutschen Kulturguts in Südtirol, SS-Forschungseinrichtung „Deutsches Ahnenerbe“

•1942 Direktor des Gaumuseums

•1943 Beauftragter für Denkmalschutz in der Operationszone Adriatischs Küstenland; „Aktion Frodl“ (Auswahl von beschlagnahmter Kunst und Bücher aus jüdischem Besitz u. a. für das Gaumuseum)

•1946 Entlassung, Einstufung als „minderbelasteter“ ehem. Nationalsozialist

•1948 Mitarbeiter der Restitutionsabteilung des Bundesdenkmalamts

•1952 Leiter des Instituts für Österreichische Kunstforschung

•1965 Präsident des Bundesdenkmalamts


Gotbert Moro (1902–1987): 

•1925 Promotion Geschichte und Geographie, Universität Graz

•1938 Beitrittsansuchen NSDAP (Aufnahme 1940)

•1939–1970 Schriftleiter der Zeitschrift Carinthia I

•1927–1940 Lehrer am BG und BRG Klagenfurt

•1941–1952 Professor an der Lehrerbildungsanstalt Klagenfurt

•1947–1952 Kustos der historischen Abteilung und interimistischer Leiter des Landesmuseums für Kärnten

•1952–1967 Direktor des Landesmuseums für Kärnten 1957 Honorarprofessur an der Universität Graz

•1958–1967 Direktor des Kärntner Landesarchivs


Franz Koschier (1909–2002):

•1934 Promotion Slawistik, Germanistik, Volkskunde, Universität Wien

•1935–40 Lehrer an der Lehrerbildungsanstalt Klagefurt

•1934–38 „Führer der nationalsozialistischen Volkstumsarbeit“ (Eigenbezeichnung)

•1936/37 Beitritt zur illegalen NSDAP und SS 1938 Kreisamtshauptleiter der NSDAP

•1939 Initiator Kärntner Heimatwerk

•1939–41 Waffen-SS

•1941 Beauftragter für Volks- und Hauptschulen beim Chef der Zivilverwaltung Oberkrain

•1941–45 Leiter der Lehrerbildungsanstalt Krainburg

•1944–45 Bearbeiter für Schulfragen beim Deutschen Berater in Laibach

•1945–47 Britische Internierung, Wolfsberg

•1952–67 Kustos für Brauchtumskunde, Landesmuseum für Kärnten

•1957 Stv. Vorsitzender Kärntner Heimatwerk

•1960/70 Beauftragter des Landes Kärnten für die Landesfeiern zum 10. Oktober

•1967–74 Direktor des Landesmuseums für Kärnten

•1968 Direktor des Kärntner Heimatwerks

Kontinuitäten, Ehre, Konflikt

Nach Kriegsende sorgte das Land Kärnten für die Instandsetzung des bombardierten Gebäudes und führte das Museum weiter. Aufgelöst wurde die Kärntner Wissenschaftliche Gesellschaft und das Institut für Kärntner Landesforschung, das Institut für Pflanzensoziologie blieb bestehen. Die provisorische Leitung des Museums übernahm bis 1948 der Maler Adolf Christl, ihm folgte Gotbert Moro. 1950 stellten die Vereine Restitutionsanträge mit der Begründung, die Übertragung ihres Eigentums an den Gau Kärnten sei unter Zwang erfolgt. Die unentgeltliche Abtretung des Rückstellungsanspruchs an das Land Kärnten ging mit einer starken personellen Kontinuität einher. Ehemalige Nationalsozialisten, Funktionäre der Vereine und Mitarbeiter des Instituts für Kärntner Landesforschung erhielten nach ihrer behördlichen Entlastung wieder leitende Stellen und Aufgaben. Neben Gotbert Moro und Franz Koschier sind der Germanist Eberhard Kranzmayer, Hans Dolenz, der als Archäologe tätig war, der Urgeschichtsforscher Franz Xaver Kohla, der Volkskundler Oskar Moser, der Geologe Franz Kahler oder der Bibliothekar Friedrich Zopp zu nennen. Faktische Personalhoheit hatte über eine lange Phase Gotbert Moro durch seine Dreifachfunktion (Landesmuseum, Landesarchiv, Geschichtsverein), politisch exponierte er sich nicht mehr. Gesellschaftspolitisch engagierte sich vor allem Franz Koschier wieder als Multifunktionär und Aktivist der Einübung und strengen Regulierung von Volkskultur und Brauchtum, zum Teil an denselben Orten wie in den 1930er Jahren (Singwochen am Turnersee). Seine besondere Aufmerksamkeit galt der „Erneuerung der Tracht“. Dafür holte er die ehemalige „Reichsbeauftragte für die Trachtenarbeit“, die Tirolerin Gertrud Pesendorfer nach Kärnten. Die Landesregierung beauftragte Koschier 1960 und 1970 mit der Durchführung der Landesfeiern zum 10. Oktober. Nach strengen Richtlinien durchchoreografiert wurden die Aufmärsche zu einer paramilitärisch anmutenden Demonstration der wiedergewonnenen Stärke und Formierung des deutschnationalen Lagers in Kärnten. In dieser Phase gingen viele Kärntner Wissenschafter der NS-Zeit in Pension. Sie erhielten hohe Auszeichnungen und Ehrungen, die Würdigung und Nachrufe von Wegbegleitern und Nachfolgern zeigen eine ausgesprochene Kultur der Selbstgratulation. Die wenigen kritischen Stimmen wurden als unwissenschaftlich und ideologisch motiviert abqualifiziert. Nach der Gründung der Universität Klagenfurt im Jahr 1970 unter Landeshauptmann Hans Sima bemühten sich die Vereine um eine vertragliche Regelung mit dem Land Kärnten, um ihre Räumlichkeiten im Museum und die Förderungen für ihre Zeitschriften dauerhaft abzusichern. Die Verhandlungen wurden von Museumsdirektor Franz Koschier koordiniert und verliefen vorteilhaft. 1974 unterzeichnete Landeshauptmann Leopold Wagner die Verträge. Damit blieb die Kontinuität über den Generationenwechsel hinaus gewahrt.

„Damit wurde jener Weg fortgesetzt, der 1942 und 1943 anläßlich des damals begangenen 100jährigen Jubiläums unseres Vereins zur Übergabe seiner musealen Sammlungen und des Archivs des Reichsgau Kärnten […] geführt, andererseits aber dem Geschichtsverein ausdrücklich für die Weiterführung der historischen Forschung und Publikationstätigkeit als zuständig erklärt hatte.“ Wilhelm Neumann, 1988

Raub und Rückstellung – Museum

Im letzten Kriegsjahr ließ der Direktor des Gaumuseums Walter Frodl große Teile der Sammlungen, darunter auch die staatlich geraubten Kulturgüter, an mehrere Bergungsorte (u. a. Schlösser) transportieren. An manche dieser Orte war Raubgut aus Oberitalien direkt angeliefert und bei Kriegsende geplündert worden. Frodl informierte britische Offiziere über die Standorte und trug partiell zur Identifizierung der Raubgüter bei. Die Restitution an Eigentümer oder Erben setzte 1947 ein. So wurden knapp 130 Objekte aus dem Besitz des Kunstsammlers Oskar Bondy bis 1949 restituiert. Der Verbleib anderer auf der Zuteilungsliste von 1940 angeführter Objekte ist bis heute ungeklärt. Ein Minnekästchen aus der Sammlung Bondy, das sich in Klagenfurt befand, wurde beispielsweise dem Museum Basel 1949 von einem Kunsthistoriker zum Kauf angeboten. Wie es in seine Hände kam ist ebenfalls ungeklärt. Im Jahr 1982 steuerte das Landesmuseum für Kärnten unter dem damaligen Direktor Friedrich Leitner eine 240 Jahre alte jüdische Heiratsurkunde (Ketubbah) aus Gradisca d‘Isonzo zur Ausstellung „1000 Jahre österreichisches Judentum“ im Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt bei. Ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde von Triest erkannte die Ketubbah. Die Übergabe an die Gemeinde erfolgte erst 1998. Sie gehörte dem Schriftsteller und Antifaschisten Bruno Pincherle (1903-1969), dessen Haus die Nazis 1943 geplündert hatten. Heute ist sie im Jüdischen Museum von Triest ausgestellt. Zum Ablauf und Ausmaß der Restitution aus dem Landesmuseum liegen, abgesehen von Einzelfällen, keine umfassenden Forschungen vor.

Raub und Rückstellung – Landesarchiv, Geschichtsverein

Jugoslawien forderte ab 1946 von Österreich die Restitution von Kulturgütern, 688 Anträge betrafen Slowenien. Slowenische Historiker:innen kamen ins Landesarchiv, um Archivalien, Bücher und Karten zu eruieren. Sie mussten neben allgemeinen Schwierigkeiten der Diplomatie und fehlender Ressourcen auch beträchtliche Hürden vor Ort überwinden. So berichtete der Restitutionsdelegierte Pavle Blaznik 1949 über einen Aufenthalt in Klagenfurt, „dass uns das Umfeld, in dem wir arbeiteten, größtenteils kalt oder sogar feindlich gesinnt war“. Ihm wurde der Zugang zum Eingangsbuch des Landesarchivs aus den Jahren 1941–1945 verweigert, einen ähnlichen Streit gab es 1960 um den Zugang zum Reichsgauarchiv. Nicht nur in diesem Fall waren Restitutionswerber in Kärnten mit Beamten konfrontiert, die vor 1945 Teil der Raubinstitutionen gewesen waren. Bis 1966 erfolgten Rückgaben in mehreren Tranchen: 1946 gab das Landesarchiv Bücher und Materialien des Gymnasiums in Krainburg zurück, 1950 Akten und Urkunden aus beschlagnahmten Büchereien und Gemeindearchiven, 1961 weitere Akten, schließlich übergab Gotbert Moro für den Geschichtsverein auch Materialien aus dem Nachlass von Martin Wutte. Jüngere Forschungen zeigen, dass die Rückgaben an Slowenien insgesamt bescheiden ausfielen und auf weniger als 10 % geschätzt werden.

Stand der Dinge – Work in progress

Die Restitution von Kulturgütern, die während der NS-Herrschaft beschlagnahmt worden sind, ist bis heute nicht abgeschlossen. Das wurde auch bei Recherchen für diese Ausstellung in den Bücherbeständen des Landesmuseums deutlich. In der Bibliothek des Botanischen Gartens und in der Landesbibliothek wurden bislang mehr als 150 Bücher identifiziert, die 1944 vom Institut für Pflanzensoziologie und vom Institut für Kärntner Landesforschung aus Triest bezogen wurden und aus Bibliotheken jüdischer Besitzer:innen stammen. Die Bücher des Instituts für Pflanzensoziologie kamen erst 1981 in den Besitz des Landesmuseums, als dessen Leiter Erwin Aichinger die Institutsbibliothek samt den noch vorhandenen gestohlenen Büchern an das Land Kärnten verkaufte. Über die großen Buchraube Aichingers, des Instituts für Kärntner Landesforschung und des Gaumuseums wurde bereits Mitte der 2000er Jahren diskutiert. Auf Nachfragen erklärte das Landesmuseum damals gegenüber Medien, keine geraubten Bücher zu besitzen, obwohl das Gegenteil bereits bekannt war. Im Buch „Wunder des Himmels“ findet sich ein Ex libris (Besitzstempel) von Hugo Friedmann, einem Wiener Strickwarenfabrikanten, der 1938 eine Bibliothek von mehreren Tausend Bänden besaß. Es gelang ihm, vor der vollständigen Beraubung, einen Teil seiner Mobilien in drei Liftvans nach Triest zu transportieren. Vieles davon wurde 1943/44 nach Klagenfurt verbracht, während Hugo Friedmann im Ghetto Theresienstadt inhaftiert war. Die SS ermordete ihn 1945 im KZ Kaufering in Bayern. In diesem Fall gelang es, einen Erben ausfindig zu machen. Das Buch wird nach der Ausstellung an seinen Neffen Anton Spielmann restituiert. Herkunft und Besitzer:innen der Bücher sind schwer zu eruieren, unter anderem weil die Bibliothekare Ex Libris entfernten, Einträge ausradierten oder überdeckten, auf diese Weise die Namen der Verfolgten auslöschten. Im Museum fand eine kritische Aufarbeitung der NS-Zeit kaum statt, diese fehlt vor allem im Bereich der Volkskultur und den mit ihr eng verbundenen Vereinen.

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