Herkunft | Kindheitslandschaft

„Aber jede Kindheit spielt ja in einem Traumland.“
Ingeborg Bachmann: Brief an die Eltern. Napoli, am 11. Juli 1956

Obervellach, der Ort im Gailtal, aus dem der Vater stammt, ist neben Klagenfurt Ingeborg Bachmanns Kindheitslandschaft. Hier verbringt die Familie viele Wochenenden und Ferien, hier erlebt die Neunzehnjährige 1945 das Ende des Zweiten Weltkrieges.

Manche Frauengestalten in Bachmanns Todesarten-Romanen – das weibliche Ich in Malina, die Titelfigur in Das Buch Franza – kommen aus dieser Landschaft an der Gail. Vergeblich versuchen sie, wieder zurückzufinden in dieses Kindheitsland, ihr Land am Fluß und den Seen wie der Bachmann-Biograf Hans Höller schreibt.

„Ich habe meine Jugend in Kärnten verbracht, im Süden, an der Grenze, in einem Tal, das zwei Namen hat – einen deutschen und einen slowenischen. Und das Haus, in dem seit Generationen meine Vorfahren wohnten – Österreicher und Windische –, trägt noch heute einen fremdklingenden Namen. So ist nahe der Grenze noch einmal die Grenze: die Grenze der Sprache – und ich war hüben und drüben zu Hause […], aber dann kam der Krieg und schob vor die traumverhangene, phantastische Welt die wirkliche, in der man nicht zu träumen, sondern sich zu entscheiden hat.“ (Ingeborg Bachmann: Senza casa).

Ingeborg Bachmanns Mutter, Olga Bachmann, wurde am 14.01.1901 als erstes von fünf Kindern der Anna Haas, geb. Großmann, und des Franz Haas, Strickwarenerzeuger, in Heidenreichstein / Niederösterreich geboren. Olga war sehr musikalisch und Mitglied des Heidenreichsteiner Gesang- und Musikvereines, der zu dieser Zeit auch Operetten zur Aufführung brachte. Sie wollte Gesang studieren und hatte den großen Traum, eine Opernsängerin zu werden. Der strenge Vater aber hatte für diese „brotlose Kunst" nichts übrig und so kam Olga nach Wien als Kinderfräulein zu einer jüdischen Familie und 1924 nach Klagenfurt, um im Textilhaus Rader in der Herrengasse im Detailhandel zu arbeiten. Sie lernte kurz darauf Matthias Bachmann, Hauptschullehrer und später Direktor, kennen. 1925 heirateten sie katholisch in Heidenreichstein.

Nach der Hochzeit bezog das junge Paar eine Wohnung in Klagenfurt, in der Durchlaßstraße Nr. 5. Am 26. Juni 1926 wurde Ingeborg Bachmann als erstes von drei Kindern geboren. Isolde kam 1928 zur Welt, Heinz 1939. 1933 übersiedelt die Familie in ihr Haus in der Henselstraße Nr. 26. Der Vater, Matthias Bachmann (1898–1973), stammte aus einer evangelischen Bauernfamilie in Obervellach im Gailtal. Er hatte den Ersten Weltkrieg als österreichischer Offizier mitgemacht und nimmt auch am Zweiten Weltkrieg von Beginn an teil. So ist der Vater während eines wichtigen Teils der Kindheit und Jugend Ingeborg Bachmanns, von ihrem 13. bis zu ihrem 19. Lebensjahr, nur selten zu Hause bei der Familie (vgl. Hans Höller: Ingeborg Bachmann). Matthias Bachmann war schon früh Mitglied der NSDAP und durfte nach Kriegsende einige Zeit nicht als Lehrer. Im März 1973 verstarb Matthias Bachmann Olga Bachmann lebte bis zu ihrem Tod am 5. August 1998 in ihrem Haus in Klagenfurt.

Ingeborg Bachmann erlebte das Ende des Nationalsozialismus in Obervellach. Dort begegnete sie dem österreichisch-jüdischen Emigranten und britischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh. Sie verspürt ein starkes Gefühl der Freiheit. Zum ersten Mal trifft Bachmann auf einen ebenso belesenen Menschen wie sie es ist. „Ich war so glücklich, er kennt alles und er hat mir gesagt, er hätte nie gedacht, daß er ein junges Mädel finden würde in Österreich, das trotz der Nazierziehung das gelesen hat. Und auf einmal war alles ganz anders […] ich habe noch nie im Leben soviel geredet.“

Dass sie durch ihre Beziehung zu einem Juden auch nach dem Ende des Nationalsozialismus ins Gerede kommt, ist Bachmann gleich, im Gegenteil: „jetzt erst recht“.

Zum 14. Juni 1945 notiert Ingeborg Bachmann in ihr sogenanntes Kriegstagebuch: "Das ist der schönste Sommer meines Lebens, und wenn ich hundert Jahre alt werde – das wird der schönste Frühling und Sommer bleiben. Vom Frieden merkt man nicht viel, sagen alle, aber für mich ist Frieden, Frieden! (…) Ich werde studieren, arbeiten, schreiben! Ich lebe ja, ich lebe. O Gott, frei sein und leben, auch ohne Schuhe, ohne Butterbrot, ohne Strümpfe, ohne, ach was, es ist eine herrliche Zeit!"



Zurück zur:

logo kärnten.museum