Henselstraβe 26
KLAGENFURT – Henselstraβe 26
„Geboren am 25. Juni in Klagenfurt. Musil sagt zu dem Ort etwas wie ‚kein Ort, wo man gewöhnlich zur Welt kommt‘. Für mich ist Klagenfurt aber immer ein durchaus plausibler Ort gewesen.“
Mit diesen Worten beginnt Ingeborg Bachmanns Versuch einer Autobiographie, der zwischen 1964 und 1966 entstanden ist. Hier erinnert sie die Momente einer glücklichen Kindheit, ihre Liebe zum Vater, der Lehrer in der Stadt war, die Ausflüge der Familie ins Strandbad Krumpendorf, wo sie „kalte Schnitzel aβen und harte Eier“, und vor allem die groβe Freude bei der „Übersiedlung ins eigene Haus“ in der Henselstraβe 26, die einen wichtigen Einschnitt darstellte.
In der Erzӓhlung Jugend in einer ӧsterreichischen Stadt wird sie die Bedeutung hervorheben, die der Garten dieses Hauses für die Kinder gewann: „Sie sind Besitzer eines Gartens geworden, in dem vorne Rosen gepflanzt werden und hinten kleine Apfelbӓume und Ribiselstrӓucher. Die Bӓume sind nicht grӧβer als sie selber, und sie sollen miteinander groβ werden.“
Jahre spӓter, als die Bomben der Alliierten auf Klagenfurt fallen und die Menschen in den Bunker treiben, will Ingeborg Bachmann im Garten dieses Hauses bleiben und lesen, Rilkes Das Stunden-Buch und in Baudelaires Fleurs du Mal, um ihre Todesangst zu überstehen: „Ich habe einen Sessel in den Garten gestellt und lese. Ich habe mir fest vorgenommen, weiterzulesen, wenn die Bomben kommen“, so schreibt die damals Achtzehnjӓhrige im sogenannten Kriegstagebuch über ihren Weg der Rettung vor dem Terror des Krieges.
Geschichte des Hauses
Das Haus Henselstraße 26 wurde zwischen 1927 und 1930 nach Entwürfen von F. L. Freyer im Rahmen der Bauaktivitäten der Stadt Klagenfurt als Teil der sogenannten „Papagenosiedlung“ erbaut.
In deren Anlage spiegelt sich das architektonische Denken der aus Großbritannien kommenden, sozialreformerischen Gartenstadtbewegung der 1920er Jahre wider. Diese bildete eine Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse in den Städten. Gedacht als Reihenhaussiedlung für Angestellte und Beamte, verfügten die Häuser auch über einen kleinen Vorgarten zur Selbstversorgung.
Grundbücherlich wurde das Eigentumsrecht 1927 für die Stadt Klagenfurt einverleibt. Bis 1934 blieb das Haus in deren Besitz. Mit dem Verkaufsvertrag vom 23. März 1934 (bzw. 5. und 17. April 1934) kam das Haus je zur Hälfte in den Besitz von Matthias Bachmann und seiner Frau Olga. 1973 wurde das Eigentumsrecht für die Hälfte von Matthias Bachmann grundbücherlich Dr. Heinz Walter Bachmann einverleibt.
„In dem Mietshaus in der Durchlaßstraße müssen die Kinder die Schuhe ausziehen und in Strümpfen spielen, weil sie über dem Hausherrn wohnen. Sie dürfen nur flüstern und werden sich das Flüstern nicht mehr abgewöhnen in diesem Leben. […]
Eines Tages ziehen die Kinder um in die Henselstraße. In ein Haus ohne Hausherr, in eine Siedlung, die unter Hypotheken zahm und engherzig ausgekrochen ist. Sie wohnen zwei Straßen weit von der Beethovenstraße, in der alle Häuser geräumig und zentralgeheizt sind, und eine Straße weit von der Radetzkystraße, durch die, elektrischrot und großmäulig, die Straßenbahn fährt. Sie sind Besitzer eines Gartens geworden, in dem vorne Rosen gepflanzt werden und hinten kleine Apfelbäume und Ribisel-sträucher. Die Bäume sind nicht größer als sie selber, und sie sollen miteinander groß werden. Sie haben links eine Nachbarschaft mit Boxerhund, und rechts Kinder, die Bananen essen, Reck und Ringe im Garten aufgemacht haben und schwingend den Tag verbringen. Sie freunden sich mit dem Hund Ali an und rivalisieren mit den Nachbarskindern, die alles besser können und besser wissen.
Noch lieber sind sie unter sich, nisten sich auf dem Dachboden ein und schreien manchmal laut im Versteck, um ihre verkrüppelten Stimmen auszuprobieren. Sie stoßen leise kleine Rebellenschreie vor Spinnennetzen aus.“
Ingeborg Bachmann: Jugend in einer österreichischen Stadt. In: Das dreißigste Jahr. München: Piper 1961
Zurück zur: