Poliklinik Prag

Da ist alles umsonst. Kostet nichts mehr.
Nur die krank sind, Kein Reichenhaus, kein Armenhaus,
nur ein Krankenhaus für die Kranken, kostet nichts,
alles umsonst, kein Vortritt und keine Privilegien,
das sind alle krank und klopfen an wie ans Paradies
und taumeln wie vorm Paradies und atmen kaum

Ingeborg Bachmann: Ich weiß keine bessere Welt.
Nachgelassene Gedichte. Hg. v. Isolde Moser, Heinz Bachmann, Christian Moser, München 2000, S. 164

Das Gedicht Poliklinik Prag [Bl.Nr. 134] geht auf die Reise nach Prag zurück, die Bachmann im Jänner 1964 gemeinsam mit dem jungen Filmemacher Adolf Opel unternahm. Der erste Entwurf von Bachmanns berühmt gewordenem ‚böhmischen‘ Gedicht trifft sich mit anderen damals entstanden Prag-Gedichten, in denen die Pragreise mitzudenken ist. Aber anders als bei Böhmen liegt am Meer findet man in Poliklinik Prag auch eine realpolitische Bezugnahme auf die kommunistische Tschechoslowakei.

Bachmann war in Prag immer wieder krank und sie musste einmal auch ins Krankenhaus gebracht werden. Auf diesen kurzen Krankenhausaufenthalt geht das Gedicht zurück. Es benennt die Errungenschaften des kostenlosen realsozialistischen Gesundheitswesens, bringt aber schon mit dem ersten Satz – „Da ist alles umsonst“ – eine Zweideutigkeit ins Spiel, die tiefer liegt. Anders als in Böhmen liegt am Meer gibt es in diesem Gedicht kein selbstbewusstes, stolzes Ich, das imstande ist, als Habenichts über das Bestehende hinauszudenken: „ein Böhme, ein Vagant, der nichts hat, den nichts hält, / begabt nur noch, vom Meer, das strittig ist, Land meiner Wahl zu sehen.“ 




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