MALE OSCURO

Schauplӓtze der Krankheit in der Prosa der Todesarten

Über die Bedeutung der Krankheit und der Traumnotate für die Prosa des „Todesarten“-Projekts.

Ingeborg Bachmanns Krankheit, die ab 1962 ihre Lebensgeschichte bestimmt, bedeutet eine tiefgreifende Zӓsur im Werk der Schriftstellerin. Auf das Verstummen der Lyrikerin, das die fragmentarischen Gedichte aus dem Nachlass eindrucksvoll dokumentieren, folgt die Neubegründung des Schreibens in der Prosa der „Todesarten“.

Ein Teil dieses Projekts ist das Buch Franza, das 1965 aus dem sogenannten „Wüstenbuch“ hervorgeht. Es erzӓhlt von einer „Reise durch die Krankheit“, die nun die „wirklichen Schauplӓtze, die inwendigen“ entdecken und verborgene Tiefenschichten erforschen will. Besondere Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit dem „anderen Schauplatz“ der Trӓume, der als theatralische Vision in Szene gesetzt wird:

„plӧtzlich aber nimmt sich dein Traum zusammen und tut den großen Wurf, ein Shakespeare hat ihm die Hand geliehen, ein Goya ihm die Bühnenbilder gemalt, plӧtzlich erhebt er sich aus den Niederungen deiner Banalitӓt und zeigt dir dein großes Drama.“

Dieses innere Drama findet im Roman Malina (1971), der als literarisches Vermӓchtnis der Schriftstellerin gelten kann, die geeignete „Gedankenbühne“. Das zentrale Traumkapitel führt in schrecklichen Bildern und Szenen die Gewalt einer mӧrderischen Vaterfigur vor Augen, die kollektive Züge zeigt und verschiedene Masken trӓgt. Ingeborg Bachmann greift hier auf die authentischen Traumnotate zurück, die sie wӓhrend ihrer Krankheit aufgezeichnet hatte.

MALE OSCURO | Krankheit und Schmerz: Biographisches

Biographische Informationen zur Krankheit Ingeborg Bachmanns und zu den Therapieversuchen

Krankheit und Schmerz sind Grunderfahrungen im Leben von Ingeborg Bachmann, die schon früh beginnen, doch einen entscheidenden biographischen Einschnitt stellt die Trennung von Max Frisch im Jahr 1962 dar. In einem Brief an den Freund Hans Werner Henze spricht Bachmann von einem „fast tӧdlichen Zusammenbruch“, der mehrwӧchige Klinikaufenthalte zur Folge hat.

Die Erfahrungen dieser Zeit hinterlassen gravierende Spuren und Symptome, die das Krankheitsbild auch weiterhin prӓgen: die Angst in all ihren Spielarten, die Furcht vor der Klinik und vor dem Alleinsein, Panik-, Schwindel- und Ohnmachtsanfӓlle. Die Therapieversuche wirken verzweifelt, eine kurze Behandlung beim Wiener Psychiater Prof. Hans Strotzka, die Reisen mit Adolf Opel, nach Prag und in die Wüste des Sudan, und schließlich die synkretistische „Grenzsituationstherapie“ bei Dr. Helmut Schulze, die durch extreme sportliche Unternehmungen und Selbstdisziplin den Patienten ihre Angst nehmen soll.

Bachmann berichtet von „asketischer Zucht“ und von einem Segelflug, sie zeichnet im Rahmen dieser Kur aber auch Traumnotate auf. Das eindrucksvollste Dokument ihrer Krankengeschichte sind die Entwürfe einer Rede an die Ärzteschaft, in denen sie die Entmündigung des Patienten in der modernen Medizin anklagt und sich dabei auf den Roman von Giuseppe Berto Il male oscuro (1964) bezieht, der schonungslos und luzide von einer psychischen Krankheit berichtet. Ihr dramatischer Appell an die Ärzteschaft will dem leidenden Menschen eine Stimme verleihen und auf die Misere eines technischen Zeitalters antworten, das den Dialog mit dem Kranken aufgegeben hat.




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